Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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TAGEHEFT

ZUM TAGEHEFT
In den Tageheften habe ich seit dem 1. Mai 2011 Tag für Tag festgehalten, was mir wichtig war - in einem oder mehreren Sätzen. Hier im Netz sind diese Texte seit April 2013 erschienen. Das erste Tageheft (2011-2012) ist 2016 als Buch erschienen, das zweite (2013-2014) 2017, das dritte (2015-2016) 2018, das vierte (2017-2018) 2019, das fünfte (2019-2020) 2021, das sechste (2021-2022) 2023 (siehe unter AKTUELLES).

1. November 2024
Wer Brandsätze unter den Teppich kehrt, sollte sich nicht über seine erhitzten Füße beklagen.

2. November 2024
Wir glauben nicht, daß eine Illusion ist, was wir glauben. Aber auch wenn sie es wäre, wäre dies so viel mehr als eine Leerstelle.

3. November 2024
Der Unverwundbare bleibt allein.

4. November 2024
Das Göttliche ist das Prinzip, ohne das wir nicht stehen würden in der Welt, sondern wie Speichel und Blut zerfließen würden.

5. November 2024
Kann man einen Bruder aufzwingen, kann man ihn dann noch lieben? Jesus bleibt unser HERR und wird nicht unser „Herr und Bruder“, wie dem Zeitgeist nachkriechende katholische Pfaffen ihn voller Haß gegen alles, was höher ist als ihre Unvernunft, titulieren.

6. November 2024
Sei dankbar für die Illusion, daß das, was du treibst, mehr ist als nichts. Nimm die halbe Illusion als den ganzen Sinn.

7. November 2024
Wer sich selbst genug ist, muß nicht einmal allein sein, um alles für sich zu haben.

8. November 2024
Was unbeendet ist, bleibt in unserem Kopf.

9. November 2024
Da das Ganze immer das Gewesene ist und das noch Werdende, welches selbst den Toten nicht vollständig fehlt, IST das Teil in seiner Gegenwart immer mehr als das Ganze.

10. November 2024
Das fragmentarische und antisystematische Denken der Vorsokratiker ist eine hohe Kunst, die wir erst wieder lernen müssen.

11. November 2024
Es sind die Dümmsten, die alles erklären wollen und alles erklärt haben wollen.

12. November 2024
Wenn ein Staat sich gegen Gottes Gebot stellt, müssen die Gläubigen zu Staatsfeinden werden.

13. November 2024
Aus dem inneren Eis können wir uns nur selbst retten.

14. November 2024
Es braucht nur ein Anwachsen des nackten Elends, daß die Individualisten sich zueinander flüchten.

15. November 2024
Nach den Jahrzehnten des politischen und theatralischen Regietheaters habe ich Sehnsucht nach dem Urtext.

16. November 2024
Eine generelle Abwehr jedes Eingriffs in Pläne und Handeln ist notwendig für Künstler wie für Politiker.

17. November 2024
Jeder von uns schreibt etliche Zeilen zuviel. Und doch bleibt am Ende soviel Ungesagtes.

18. November 2024
In der Literatur vertraue ich den gut erzählten Lügen.

19. November 2024
Die großen Jahre der Pop-Musik, als Orpheus mit der Herde unterwegs war, als Procol Harum empfahl, den Homburg auszuziehen wegen des Schmutzes an den Hosenbeinen, und Joan Baez ihre ganz persönliche Versöhnung mit einem der nachgeborenen Unschuldigen feierte, ausgerechnet in Heidelberg. Auch für sie war der Holocaust da, aber auch das, was ihm folgte: die lange zuvor schon geplanten Folgevertreibungen.

20. November 2024
Ein Niemand namens Hendrik Schück, der sich für einen Literaturkritiker hielt, erklärte vor hundert Jahren, die Deutschen hätten keine Literatur und Goethe sei ein Niemand. Solche Nullen verschwinden im Nichts.

21. November 2024
Die Witterung, die aufgenommen wird. So wie zwischen Meyer Wolfheim und Jay Gatz darüber eine Verbindung entsteht, die fest ist, aber noch im Tode Rücksicht nimmt auf das, was für jeden von beiden Durchkommen bedeutet.

22. November 2024
Da unentscheidbar bleibt, wer Recht hat, genügt es, sich zu melden und die eigenen Ansprüche in Worte zu kleiden. Am Ende bist du einer von Tausenden, die sich bewarben in all den Jahrhunderten. Selbst die Erdzeitalter sind nicht genau abzugrenzen – sie überlagern sich oft genug ununterscheidbar.

23. November 2024
Wer die Tradition aufgeben will, muß selbst etwas sein, oder sich damit abfinden, daß seine Ersetzung im Vorführen seiner Nichtigkeit besteht.

24. November 2024
Die Menschenschlechtler klagen die Vertreibung der Palästinenser an und fordern im selben Atemzug die Deportation der jüdischen Siedler aus den wieder rasserein arabisch zu machenden Gebieten.

25. November 2024
Wir fordern: Verfolgung der Mörder und Terroristen nur dann, wenn sie einen Sicherheitsabstand von fünfhundert Metern zu unbeteiligten Unschuldigen einhalten.

26. November 2024
Freud hatte nicht ganz unrecht. Neben den Versprechern der Redenschwinger gibt es die erhellenden Verschreiber der Journaille. Da kritisiert der Herr Pleitgen zu Recht, daß die sogenannten US-Demokraten eine viel zu präsente „Message-Control“ gezeigt hätten. Dadurch wirke die Kommunikation gestelzt und von PR-Leuten durchgekauft. Ja, durchgekauft, welche schöne Sprachschöpfung.

27. November 2024
Man müßte alle Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Stalinismus ignorieren und verdrängen, wenn man andere als desaströse Folgen einer umfangreichen Enteignung erwarten würde. Es spricht alles für einen Sozialismus des freiwilligen Teilens und Abgebens.

28. November 2024
Der Kunstmarkt feiert seine Orgien des Nihilismus und der Wertlosigkeit mit aufgeklebten Bananen und leeren Leinwänden.

29. November 2024
Sollte ich Rücksprache mit denen halten, die in meinen Romanen vorkommen? Auch mit den Toten?

30. November 2024
Unglücklich-Sein entsteht aus einer gelungenen Verbindung der Unwilligkeit, andere glücklich zu machen, mit der Unfähigkeit dazu.

1. Oktober 2024
Die hilfreichen Sackgassen.

2. Oktober 2024
Es gibt Täter. Es gibt das Volk und viele Völker. Aber es gibt kein Tätervolk, kein einziges.

3. Oktober 2024
Eine der übelsten Verfehlungen ist es, ohne Not Hilfe zu verlangen.

4. Oktober 2024
Wie Father McKenzie schreiben wir Predigten, die niemand hören wird. Wir üben sie für uns, in Niedergeworfenheit.

5. Oktober 2024
Ich glaube an Gott, nicht an den Frieden. Wie sollte man an etwas glauben, das es nachweislich nicht gibt?

6. Oktober 2024
Es ist ein Teil fortschreitender Demokratisierung, daß es nun den Sklaven gestattet ist, ihren Oberherren die Freundschaft zu erklären und ihnen hohe und höchste Orden zu verleihen.

7. Oktober 2024
Statt einer aufrechten Haltung mit dem Kopf in den Wolken und erhabenem Blick in den Spiegel möchte man den ebenso rückhalt- wie rückgratlosen Journaillisten wünschen, daß sie auf allen vieren und nah am Boden nach der Wahrheit schnüffeln. Leider bleibt das in aller Regel ein frommer Wunsch.

8. Oktober 2024
Schuld ist privater Besitz. Man sollte niemandem die Schuld stehlen.

9. Oktober 2024
Mit großer Findigkeit hatte die Eintagsfliege, die im Saftglas ertrank, am Ende doch noch einen Zugang gefunden.

10. Oktober 2024
Die Mäuse hatten sich dort, wo im schwarzen Behälter das tödliche Gift für ihre Verwandten gelegen hatte, häuslich mit Haselnüssen und Bucheckern eingerichtet.

11. Oktober 2024
Alle Idyllen reichen mit ihren Wurzeln in die Kindheit zurück – in die ärmste und unbeschwerteste Zeit.

12. Oktober 2024
Die, die PFUI rufen über unsere Ansichten, sollten ihren Ausruf an all das richten, was den Menschen und mit den Menschen geschieht. Trotz gegenteiliger Behauptungen: Wir sind nicht allmächtig, wir haben die Welt nicht geschaffen, wir sind nicht für ihren Zustand verantwortlich.

13. Oktober 2024
Der Schlaf übernimmt die Reste.

14. Oktober 2024
Die, die eine Zeit mit dir gearbeitet haben oder dir sogar eine Zeit nachgelaufen sind, solange du tatest, was sie für richtig und ihnen zuträglich hielten, gehören zu einem Umfeld, das vielleicht sogar in den Randstreifen deine Ernte gedüngt hat. Mehr haben sie nicht mit dir zu tun und du mit ihnen.

15. Oktober 2024
Am ehesten dienen bittere Worte einer Gesundung.

16. Oktober 2024
Keinen Finger rühren für Menschen, die nichts für ihre Kinder und ihre eigenen Leute übrig haben und nichts für sie tun.

17. Oktober 2024
Treue ist wechselseitig ohne Bedingungen.

18. Oktober 2024
Niemand hat ein Recht, einem Vertriebenen seine Sehnsucht zurück, sein Ressentiment und sein Bestehen auf seinem uneingeschränkten Heimatrecht zu verwehren.

19. Oktober 2024
Welchen Sinn hat es, Revanchismus anzuprangern, wenn sich ohnehin in einigen Fällen die Revanche nicht verhindern läßt? Diese Revanche hat regelmäßig mehr gute Gründe für sich, als das vorangehende Unrecht sie besaß.

20. Oktober 2024
Die Verteidigung benötigt Waffen und Entschlossenheit und keine Rechtfertigungen.

21. Oktober 2024
Gold und Silber, Samt und Seide in den Kirchen sind naturnotwendige Elemente der Schönheit und der Kultur. Wer diese Zeichen abschaffen will, der ist arm an Geist und bisher noch zu reich an Geld und Macht. Solche Leute verdienen es, für ihren Krieg gegen unser spirituelles und materielles Erbe zu bezahlen, bis ihr letztes Privateigentum vergesellschaftet ist und sie, gut versorgt aus der kommunalen Kleiderkammer und gesättigt aus der ehrenamtlichen Suppenküche, die Chance erhalten haben, ihr Leben und ihre Sicht auf die Welt zu ändern.

22. Oktober 2024
Die Ungewißheit und die Verweigerung, ein Wissen über Gott vorzugeben, ist der Wesenskern des Protestantismus. Die von ihm Abgefallenen und zu den Katholiken Übergewechselten haben diese so menschliche und so tröstliche Ohnmacht nicht aushalten wollen und aus ihrer Schwäche Entscheidungsgröße zu machen versucht.

23. Oktober 2024
Glauben zu können ist eine Gnade, um die man bitten und für die man beten kann.

24. Oktober 2024
Wer würde die Behauptung wagen, er wisse, warum Gott die gewaltigen Morde nicht verhinderte? Wer würde eine Anklage wagen? Vor welchem Gericht? Es bleibt eine Sache der Menschen, die die Menschen mit sich abmachen müssen.

25. Oktober 2024
Die Theodizee-Frage ist eine ebenso mögliche wie unbeantwortbare Gotteslästerung.

26. Oktober 2024
Wer hätte mehr Recht zu schweigen als ER.

27. Oktober 2024
Was wir uns wünschen: Meist das Unwirkliche, meist den Ausgleich unseres Defizits.

28. Oktober 2024
Es zeichnet den Pöbel aus, nach dem „Hosiannah“ sein „Kreuziget ihn!“ zu brüllen.

29. Oktober 2024
Niemals aufgeben, daß die Kunst göttlichen Ursprungs und göttlich ist. Wem das Spaß macht, der mag sie herunterziehen und herabwürdigen – es schadet ihr nicht.

30. Oktober 2024
Unabhängig davon, was ein Handwerker kann und von sich meint, bleibt der unüberwindliche Graben zwischen Kunst und Handwerk, zwischen den Schöpfern und den unerläßlichen Ausfeilern und Kopierern. Ein wenig kreativ zu sein, ist hilfreich, erzeugt aber keine Schöpfung.

31. Oktober 2024
Dichtung kann nicht hart genug sein. Sie muß kämpfen und schlagen.

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