Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

Romane · Kurze Prosa · Lyrik · Essays · Kinderbücher · Theatralisches
Künstlerische Photographie · Kopier-Kunst · (Material)Bilder



TAGEHEFT

ZUM TAGEHEFT
In den Tageheften habe ich seit dem 1. Mai 2011 Tag für Tag festgehalten, was mir wichtig war - in einem oder mehreren Sätzen. Hier im Netz sind diese Texte seit April 2013 erschienen. Das erste Tageheft (2011-2012) ist 2016 als Buch erschienen, das zweite (2013-2014) 2017, das dritte (2015-2016) 2018, das vierte (2017-2018) 2019, das fünfte (2019-2020) 2021, das sechste (2021-2022) 2023 (siehe unter AKTUELLES).

1. Juni 2023
Mangel an Intelligenz gewährt Zutritt zur Intelligentia.

2. Juni 2023
Neu zu sein bedeutet, erst einmal wertfrei und oft genug wertlos zu sein.

3. Juni 2023
In Gebieten, in denen die Mafia ihre Netze und ihr Geflecht ausbreitet, kann man sich nur wünschen, ausgeschlossen zu sein.

4. Juni 2023
Wären die Regierenden Christen, würden sie ihre Feinde lieben.

5. Juni 2023
Gott als Freundin und Freund? Auch Aachener Spirituale können bildungsresistent sein. Gerade Radiosprecher der Allgemeinen Kirche sollten das Generikum kennen.

6. Juni 2023
Picasso, als „Maler und Keramiker“ vorzustellen, ist speziell. Ungefähr so, wie wenn von „Mich auch“ und den Aneignungsschreiern über Frauenzerstörung lamentiert wird. Ganz so, als ob ohne Zerstören und Selbstzerstören Kunst zu haben wäre.

7. Juni 2023
Siebenundsechzig war ich dafür, eine Regierung zu stürzen, die Regierung der Großen Koalition, die um vieles besser war als die aktuellen Führungsleute. Immerhin mußte ich mich seither an keine neue Zielsetzung gewöhnen und durfte mich progressiv dem Punkt nähern, wo es besser erscheint, keine Regierung zu haben als das real existierende letzte Aufgebot.

8. Juni 2023
Man kann die jetzige deutsche Regierung nicht mit der Adolf Hitlers gleichsetzen. Aber wie nach 1945 wird niemand, der an verantwortlicher Stelle mitwirkt, dereinst sagen können, er habe von nichts gewußt und er habe doch das Schlimmste verhindert durch sein widerwilliges Mittun.

9. Juni 2023
Wann kommt der Heiland, der dem Ununterbrochenbewegten sagt: „Laufe, bis deine ruhelosen Beine ruhig werden“?

10. Juni 2023
Die Sektengläubigen sind doppelt bestraft: Erstens durch ihre Ängste und Unglückserwartungen, zweitens durch das, was ihnen droht, wenn demnächst bilanziert wird, was sie angerichtet haben.

11. Juni 2023
Hätten die jungen SA- und SS-Leute (die begeisterten „Idealisten“ sind gemeint, nicht die dumpfen oder sadistischen Schläger) 1930 Auschwitz vorhersehen können und müssen? Wer das bejaht, muß konstatieren, daß ihr Pendant im Sommer 1917 den Bolschewisten hätte jede Unterstützung aufkündigen müssen und sich der Oktoberrevolution hätte verweigern müssen im Hinblick auf das, was noch kam.

12. Juni 2023
Die Erwartung, daß blutige Träume friedlich enden, scheint mir reichlich vermessen.

13. Juni 2023
Auch die Nazis wollten die Spaltung im Volk überwinden, indem sie einen der Stämme aussonderten, zum Schweigen brachten und zur Ausrottung vorsahen. Ihre Nachfahren bestehen darauf, die Tradition zu wahren. Nur in einem weichen sie ab und sind moderner: Sie wollen eine neue, nicht mehr die alte Benennung für ihre Richtung, obwohl sie in der Traditionslinie bleiben.

14. Juni 2023
Erwartest du Dank und Begeisterung, wenn du alle, die nicht so sind wie du, dumm, uninformiert und rückständig nennst? Glaubst du, du kannst alle niedermachen, ehe sie von dir lernen, was zu tun ist?

15. Juni 2023
Wenn Sie mehr und mehr Soldaten in Montur sehen, sollten Sie über den Rückzug nachdenken.

16. Juni 2023
Wer Handel boykottiert, will meist den Frieden verhindern. Wer Waffenlieferungen nicht boykottiert, will meist nicht nur den Frieden verhindern, sondern den Krieg aktiv vorantreiben.

17. Juni 2023
Achtzig Prozent des Widerstands ist für die Nachwelt bestimmt und für die Hoffnung auf die erzieherische Wirkung unseres Beispiels.

18. Juni 2023
Ich habe es stets als die besondere Größe Eugen Levinés angesehen, daß er sich glasklar bewußt war, daß er nicht siegen und nicht einmal mit dem Leben davonkommen werde und dennoch nicht den Posten und den Kampf verließ, der nicht seiner war.

19. Juni 2023
Wieviel von unserer Treue ist Starrsinn, Unbeweglichkeit und Bequemlichkeit? Aber ohne diese Zusätze gäbe es keine Treue.

20. Juni 2023
Hineingeborenheit: Sie ändern zu wollen ist lächerlich und unmöglich.

21. Juni 2023
Betrachtet man es funktional, hat Marx recht mit seiner Kennzeichnung der Religion als Schmerzstiller des Volkes. Betrachtet man die Religion absolut, also als von allem, auch dem Volk und der Weltgesellschaft, gelöste geistige Essenz, so ändert dies alles.

22. Juni 2023
Außerhalb solcher Großsekten, die sich wie die Drusen auf die in sie Hineingeborenen beschränken, verurteilt sich eine Religion, die nicht mit aller Kraft alle Menschen missioniert, zum Tode. Den hat sie sich in diesem Fall redlich verdient.

23. Juni 2023
Die Bibel ist für die Sünder, nicht für die Heiligen.

24. Juni 2023
Was besagen ein schief gemauerter Stein im Kölner Dom über die Bedeutung des Bauwerks oder eine einzelne Eselei Goethes über sein Werk? Wer nicht geneigt ist, das Ganze zu sehen, zu beschreiben und zu bewerten, sollte ganz und gar den Mund halten.

25. Juni 2023
Das Überflüssigste ist ein Buch, das mich bestätigt, statt mich emporzuschleudern oder mich zu Boden zu strecken. Nur Erschütterung und Schmerz sind beim Lesen ein Gewinn.

26. Juni 2023
Eine Zeile eines gelungenen Gedichtes ist mehr wert als die Bibliotheken.

27. Juni 2023
Der angeblich visionäre Galerist Alfred Schmela war in meinen Augen eine der menschlich hohlsten und übelsten Gestalten in der an solchen Exemplaren nicht armen rheinischen Kunstszenerie. Als er 1968 in seiner ihm übergangsweise auch als Galerie dienenden Oberkasseler Wohnung die ihm in jeder Hinsicht turmhoch überlegene Mercedes Vostell, die Frau Wolf Vostells, natürlich in dessen Abwesenheit, aber in meiner Anwesenheit, als „spanische Kameltreiberin“ bezeichnete, stand er ebenso nackt wie erbärmlich vor mir. Wolf Vostell war ein anderer Mensch. Selbst in Momenten der Schwäche, etwa als ich ihn um Gefallen und Gefälligkeiten bemüht im Gespräch mit einer reichen Kunstkäuferin erlebte, hatte er immer noch die Unschuld des großen Kindes.

28. Juni 2023
Immer noch ist diese Gesellschaft angewiesen auf Arbeitssklaven. Deren Bezeichnung wurde reformiert.

29. Juni 2023
Frei zu denken verlangt zuerst, sich frei zu machen von altgewohnten Lieblingsurteilen.

30. Juni 2023
Nur ein Zettel wird benötigt für die entscheidenden Worte.

 zum Seitenanfang