Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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TAGEHEFT

ZUM TAGEHEFT
In den Tageheften habe ich seit dem 1. Mai 2011 Tag für Tag festgehalten, was mir wichtig war - in einem oder mehreren Sätzen. Hier im Netz sind diese Texte seit April 2013 erschienen. Das erste Tageheft (2011-2012) ist 2016 als Buch erschienen, das zweite (2013-2014) 2017, das dritte (2015-2016) 2018, das vierte (2017-2018) 2019 (siehe unter AKTUELLES).

31. Mai 2020
Wenn man ein Leben führt, das ein einziger Irrtum ist, erspart man sich die Menge der einzelnen Irrtümer.

30. Mai 2020
Zu schweben verlangt eine aufrechte Haltung.

29. Mai 2020
Die Stärke der offiziellen Werbemaßnahmen liegt im Millimeterbereich – all das, was plakatiert wird, löst sich auf bei Schlechtwetter und wendet keinen der Stürme ab.

28. Mai 2020
Wenn eine Regierung ihre Gegner, die oft nicht einmal einen anderen Staat wollen, sondern nur gemäßigte Verbesserungen, zu Staatsfeinden erklärt, kann man ihr nur wünschen, daß sie den schwarzen Stier zu schlachten vermag, ehe sie von ihm zertreten wird.

27. Mai 2020
Jede Aussage über das eine verlangt eine sofortig angeschlossene Aussage über das andere, das dieses eine umgibt, hält oder zu überwältigen droht.

26. Mai 2020
Unrettbarkeit: Nicht von sich loszukommen.

25. Mai 2020
Adolf Hitler war treuer als sein treuer Heinrich – zu sich selbst und zu seinem Wahn.

24. Mai 2020
Wer nicht die tausend Blumen und die sie begleitenden Wildkräuter wachsen läßt, wer Denk- und Sprechverbote aufrichtet, wer die Laienprediger krauser Mythologeme nicht zu Worte kommen läßt, wer voller Liebe zum Beton einen Einheitsblock der Spalter und Selbstverewiger aufstellt, der sollte pausenlos an sich und allen Spiegeln vorbeilaufen. Auch für sich ist er eine Gefahr.

23. Mai 2020
Unsere Erfahrungen resultieren zum entscheidenden Teil aus den Irrwegen, die wir begingen und der bewußten Betrachtung während der Rückkehr zum Ausgangspunkt.

22. Mai 2020
Sie, die wahren Idioten, irren sich nicht einmal.

21. Mai 2020
Ankommen an dem Ziel, zu dem uns unsere Sehnsucht trieb, will gelernt sein.

20. Mai 2020
Es gibt eine Sucht zu suchen.

19. Mai 2020
In dem Netz, das die Fische im Teich gegen den Reiher schützen sollte, verfing sich ein Frosch, den ich nicht weit vom Ort seines Endes begrub. Wie ihn das ums Leben brachte, was auch ihn geschützt hatte.

18. Mai 2020
„Wir sind eng verwandt“, sagte der wenig später Ermordete zu seinem Mörder. „Mein Herr, Sie haben recht. Auch Sie könnten mein Mörder sein“, war die Antwort.

17. Mai 2020
Das Ende, das wir erwarten, ist eine letzte Grenze. Aber auch diese Grenze hat zwei Seiten, diesseits und jenseits.

16. Mai 2020
Wieviel Zeit ich mit dem Lösen von Knoten verbrachte, mit dem Tränken der ausgetrockneten Erde.

15. Mai 2020
Nicht immer hat die Mehrheit unrecht, aber bei einer Mehrheitsmeinung ist stets besondere, äußerste Vorsicht und Sorgfalt geboten. Die Zahl der Meinenden ist hierbei der allerschwächste Beleg.

14. Mai 2020
Du kannst von dir sagen, daß du einen bestimmten Menschen oder vielleicht zwei oder drei schützen willst. Ob es dir gelingen wird, bleibt offen. Wer aber sagt, er wolle die Menschheit schützen, ist entweder ein Idiot oder ein infamer Lügner. Und was ist mit denen, die in grotesker Selbstüberhebung sich zum KLIMASCHÜTZER ernennen? Statt im Schloß werden sie im Pißpott landen.

13. Mai 2020
Angesichts einer zunehmenden, wenn auch noch zurückgestauten Wut – jetzt noch in einer Minderheit – scheint es fraglich, ob die Ermunterung zu mehr Freundlichkeit irgendeine Wirkung hat oder ob sie nicht womöglich die Empörung noch steigert. „Du bist nicht allein“ – das denken die Wütenden ohnehin und lassen es sich nicht zweimal sagen.

12. Mai 2020
Niemals wird die Zukunft dich willkommen heißen.

11. Mai 2020
Schlimmer als die Angst, allein zu sein in der Welt, und die Angst, nicht allein zu sein, ist die solide Furcht, daß wir nicht wissen werden, was schlimmer sein wird.

10. Mai 2020
Die Mythen lassen uns größere Freiheit als die Gesetze.

9. Mai 2020
Jede Erkenntnis nimmt uns eine unserer Illusionen.

8. Mai 2020
Warum Gott mit der Menschheit beschweren?

7. Mai 2020
Welches Glück, nicht aufzufallen mit den umstürzenden Berechnungen, die das Ende der Nacht markieren, nicht gelesen und nicht verstanden zu werden.

6. Mai 2020
Die Sonne oder die Sonnen – welch eine Differenz!

5. Mai 2020
Würde man die staatlicherseits Verantwortlichen befragen, würden sie zumindest inoffiziell, unter vier Augen, den Unfallmord oder eine unangekündigte Vergiftung als eine humane Variante der Tötung eines ohnehin nicht Rettbaren beschreiben.

4. Mai 2020
An den Marxismus darf man nicht glauben, will man sich ernsthaft für einen Marxisten halten.

3. Mai 2020
Die Schwierigkeit, sich mit den Figuren des Kinos zu identifizieren: In den Büchern können wir uns (oft unter souveränem Ignorieren der Angaben des Verfassers) die Gestalten, von denen wir dies wünschen, so vorstellen, wie wir selber sind oder sein möchten – ganz so gebaut, asthenisch oder pyknisch, ganz so beeigenschaftet. Aber an einem auf der Leinwand oder dem Bildschirm anders und unwillkommen aussehenden Menschen, vielleicht noch dazu im falschen Lebensalter, scheitern wir und wenden uns indigniert ab.

2. Mai 2020
Würde ein unvoreingenommener Soziologe in teilnehmender Beobachtung die Kontakte unter der Schauspielermannschaft der „Lindenstraße“ mit denen in einer beliebigen SS-Einheit vergleichen, wäre er überrascht über die Fülle des Vergleichbaren und die Ähnlichkeit in der Banalität der Vorgänge. Kumpanei, Kameradschaft, Konflikt – all das Menschlich-Allzumenschliche.

1. Mai 2020
Wer als Gewerkschaftsführer zu seinen Forderungen und einer virtuellen Maikundgebung Arbeiterchöre zusammenschaltet und Kabarettisten auftreten läßt, der signalisiert nach oben, daß er von gestern ist, es ihm nicht ernst ist und er nicht einmal als Ersatzkabarettist zu gebrauchen ist.

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