Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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STÄDTE UND FLÜSSE 1962-2000
Vergangenheit und Verse - Jahr für Jahr


Aus dem Vorwort

In den gut vier Jahrzehnten seit 1962 sind mehr als eintausend Gedichte entstanden, aus denen ich diese Auswahl zusammengestellt habe, die mit dem Heute beginnt und zurückgeht zu meinen Anfängen. Einige meiner Poeme sind zuvor in Anthologien, in Zeitschriften und in meinen beiden Lyrikbänden „Das heimatlose Land“ (z.B.-Verlag Köln 1977) und „Eine Betrügerin macht ihr Glück“ (Almanach Verlag München 1997) an eine natürlich sehr begrenzte Öffentlichkeit gelangt. Einzelne sind auch in französischer oder englischer Übersetzung in Zeitschriften gedruckt worden. Besonders Rüdiger Fischer, spiritus rector des „Verlages im Wald“, der vielleicht wichtigsten Edition für Ausgaben deutsch-französischer Gegenwartslyrik, hat sich im frankophonen Ausland für meine Lyrik engagiert.
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„Bei Betrachtung“, womit das vorliegende Buch endet, war mein erster im engeren Sinne literarischer Text – angesiedelt zwischen Prosagedicht und aphoristischem Stimmungsgemälde. Ich schrieb ihn als Dreizehnjähriger, 1962 - nach gut drei Jahren erster Schreibversuche (Miniatur-Märchen, Notizen auf fliegenden Blättern. . .) und abenteuerlichster Lektüre (von Hemingway bis Benn, von Hölderlin bis Karl Marx, von Brecht bis zu den Vorsokratikern). Einiges von diesen Vorbildern wird man in meinen frühen Gedichten wiederfinden, die einerseits erratisch, isoliert und ein wenig abseitig wirken, andererseits den Boden bereitet haben für alles Folgende. Wer nachforscht, wird etliche Bezüge aufstöbern zu jenen Autoren, die mir für Verwandlungen und Variationen ihre Stichworte lieferten (die deutschen, englischen und französischen Romantiker, die Parnassiens, die Expressionisten usw.) und wird Anklänge spüren zu den Mythen und Mythologien in dem weiten Feld zwischen den Vorzeitsagen und den merkwürdig schnell ins Historische abgesunkenen Motiven der Pop-Musik.
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Manchmal offenkundig, manchmal untergründig verborgen unter Überschreibungen und Überlagerungen sind Krieg und Flucht in meinem Werk eher ein Mittelpunkt als ein Unterpunkt. Daß sie zu den Zentralworten und Hauptthemen gehören, ist aus meiner Geschichte, aus der Geschichte meiner Familie, kaum anders zu erwarten. Es geht dabei immer gleichzeitig-ungleichzeitig um das Geschick der Soldaten, die selbst Opfer sind, wie um das ihrer Opfer - um Menschen also, die das Schwert, durch das sie umkamen, selbst erhoben hatten und um andere, die sich allenfalls mit ihren bloßen Händen wehrten und der Vernichtung auch nicht entgingen. Überhaupt ist die Geschichte – das Gewesene und gespenstisch Wiederkehrende - in meinen Gedichten ein Horizont, auf den hin sich die Zeichen ordnen. Der Ewige Jude, der sein Kreuz nimmt und quer durch die Zeiten stromert, vom alten Griechenland bis an die Ostfront und in die Lager, macht sich immer wieder neu auf und gerät erneut als ein Fremder in Bewegungen, die er seit langem kannte. Über die verschiedensten Straßen, durch die verschiedensten Ströme und Strömungen führt dieser Weg, hier und da auf einige Zeit eine provisorische Heimat errichtend und sie in den Vorahnungen schon von Anfang an aufgebend für eine andere Ungewißheit. Sehnsucht danach, immer weiter zu suchen, immer auf den Füßen zu sein und hinüberzugehen in weite Räume und über nahezu leere Hochflächen ist eine elementare Stimmung in meinen Gedichten und meinem Leben. Nicht anders die Flüsse: Sie führen an den Städten vorbei, von einer Festung zu einer nächsten und übernächsten und über sie alle hinaus bis an einen Ozean, der ohne Grenze scheint und all die Enge und Gebundenheit lösen wird.

Rolf Stolz

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