Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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Das Schwein

Daß Pawel Kusmitsch das Schwein haßte, das stand jedenfalls fest. Eines der wenigen Dinge, die keinen Zweifel zulassen, so ungefähr wie bei einer Umarmung, die du von deinem Fenster unzweifelhaft beobachtest, ein Bauer umarmt seine Bäuerin, du kennst sie beide vom Sehen und mit Vatersnamen, aber du willst sie nicht kennen und wenn du ihnen nicht ausweichen konntest, weil sie im Dorf unvermittelt hinter einer Hecke auftauchen, nickst du ihnen huldvoll zu, aber ganz tonlos und als seien sie solche Fremde, wie man sie einmal nie wieder sieht und im selben Augenblick sind sie vergessen und fort aus dem Kopf. Aber an der Vorhandenheit der Bäuerin und des Bauern zu zweifeln gibt es keinen Anlaß und auch die Umarmung war eine schlichte vollkommene Gewißheit. Es scherte Pawel Kusmitsch dabei wenig, daß er nicht wissen konnte, ob sie in voller Herzlichkeit geschehe, aus alter und fühllos gewordener Gewohnheit oder in einem einseitigen, ja vielleicht sogar beidseitigen Abscheu, mit Gedanken an einen besseren Mann oder eine bessere Frau. Umarmung war Umarmung, Mann war Mann und Frau war Frau.
Schwierig wurde es nur, wenn man über Sachen redete oder von Sachen las und es um Mehrdeutiges ging, das in der Gesprächs- oder Gedankenluft schwirrend schwebte oder zwischen den Sätzen abtauchte in unerreichbare Verdunklungen. „Ich will Kreuz“ hatte in seiner Ausbildungszeit im Lehrbuch der deutschen Sprache gestanden, ein Spielergespräch. Er sollte als Aspirant für den Nachrichtendienst die Anfangsgründe der deutschen Sprache ausspionieren und hatte es vorgelesen als „Ich will das Kreuz“. Damit hatte er nicht allein bei seinen Deutschlehrern das Vorurteil gefestigt, es mit einem unordentlich-unzuverlässigen Träumer zu tun zu haben, sondern er hatte sich eine zehnminütige Darlegung anhören müssen, „Ich will das Kreuz“ sei die inbrünstige Idiotie eines religiös-reaktionären Fanatikers und somit eine Angelegenheit der staatlichen Organe, während „Ich will Kreuz“ dem nachvollziehbaren, wenn auch noch unaufgeklärten und unzureichenden Wunsch der Volksmassen zuzuordnen sei, beim Kartenspiel für einen Moment die Ausbeutungsfron zu vergessen. Im übrigen zeige sich hier die optimistische und schöpferische Kritik der Unterdrückten an den herrschenden Volksfeinden, wie ja auch in den Kartenspielen des westlichen Europas der König zwar stärker sei als alle aus seinem Gefolge, er aber stets vom As niedergeschlagen werde, das ein abstraktes Prinzip verkörpere. Ja auch die Übermacht der Buben, wenn auf Grand gespielt werde, zeige, daß in einer bestimmten historisch-politischen Konstellation der Mann aus dem Volke, von unten her aufsteigend, die Macht für sich erobern könne. Ferner gäbe es die Spielweise, bei der die Zehn dem König übergeordnet ist, also die hohe Zahl, dieses Sinnbild der Massen, den absoluten dynastischen Anspruch aus dem Felde schlägt. Das abstrakte Prinzip des Asses sei aber nichts anderes als die konkrete und konzentrierte kollektive Kraft des Volkes. „Und,“ brüllte der Lehrer Anton Germanowitsch Schmidt an dieser Stelle, „wer ist das, die konkrete konzentrierte kollektive Kraft des Volkes? Nun,“ gab er sich selbst die Antwort, „niemand anders als unsere bolschewistische Partei. Das ist das As und das As siegt immer, auch über jedes Kreuz.“ ...


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