Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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TAGEHEFT

ZUM TAGEHEFT
In den Tageheften habe ich seit dem 1. Mai 2011 Tag für Tag festgehalten, was mir wichtig war - in einem oder mehreren Sätzen. Hier im Netz sind diese Texte seit April 2013 erschienen. Das erste Tageheft (2011-2012) ist 2016 als Buch erschienen, das zweite (2013-2014) 2017, das dritte (2015-2016) 2018, das vierte (2017-2018) 2019 (siehe unter AKTUELLES).

30. April 2021
Es ist ein doppeltes Glück, am Abgrund geleitet zu werden. In der sicheren Ebene wäre uns das Wichtigste verlorengegangen: Zu überleben und gerettet zu sein.

29. April 2021
Wie abschreckend sind die Verherrlichungen!

28. April 2021
Wer einen Gott für sich allein reklamiert, der sich nur in seiner Sprache offenbart, der sollte ihn auch für sich behalten.

27. April 2021
Mitleid mit der getöteten kleinen Spinne, die ich für eine Fliege hielt.

26. April 2021
Mit wenig Sonne und bei geringer Wärme sind die Blumen länger für uns da, die wir uns nach dem Sommer sehnen.

25. April 2021
Wenn ein Gangster sagt, er arbeite mit einem anderen gut zusammen, so ist damit noch nicht bewiesen, daß der andere ein Gangster ist. Aber eine naheliegende Vermutung ist es allemal.

24. April 2021
Daß die Konvertiten sich durch ihre Konversion rächen, versteht sich von selbst. Aber daß sie sich auch irgendwann für ihre Konversion rächen, an wem auch immer, ist weniger im Bewußtsein, aber mehr als wahrscheinlich.

23. April 2021
Darf man den Nazis Weh zufügen in tiefster Seele, indem man ihren wissengschaftlhuberschen Rassethesen nicht folgt und ungebeten ihre politischen Verfehlungen anprangert? Man darf. Und den Stalinisten? Und den Islamisten?

22. April 2021
Zu Recht wird bestraft, wer andere körperlich verletzt. Andere seelisch zu verletzen dagegen muß immer straffrei bleiben. Auf diesem Feld gibt es nur Plausibilitäten, aber keine Beweise. Kunst oder politische Äußerungen berühren Menschen immer und naturnotwendig, ob nun gewollt oder ungewollt. Da die einen dies als Glück empfinden, und die anderen laut aufstöhnen, bleibt nur als Medizin: „Dann heul doch“.

21. April 2021
Eine einmalige, einmal nur gelingende Täuschung: Pappkameraden, die die Lücken in der Front auffüllen.

20. April 2021
Die Offenbarung offenbart uns Rätsel, die Rätsel bleiben werden.

19. April 2021
Formen des Sich-Versteckens: Gewollt unbekannt und unerkannt bleiben, sich verstecken hinter den eigenen lauten Verlautbarungen.

18. April 2021
Deus Absconditus – sollten wir nicht danach streben, auch darin wie Gott zu sein?

17. April 2021
Der Endpunkt, an dem wir unseren Weg abbrechen, ist niemals der einst entworfene Zielpunkt. Dieser verschwimmt im Laufe der Zeit so sehr, daß wir nicht einmal mit Bestimmtheit sagen können, ob wir ihm nähergekommen sind.

16. April 2021
„Du warst lange unterwegs.“ „Ich bin es noch“, sagte der Mann, der sich an der Tür niedergelassen hatte, „ich bin es immer.“

15. April 2021
Menschen, die verschwinden und faßbare Spuren hinterlassen. Menschen, die verschwinden und von ihnen sind nur noch Spuren in Elementen nachweisbar.

14. April 2021
Solange ich denken kann, werde ich nicht vergessen. Nicht allein die Massaker und den organisierten Mord, sondern auch den Verrat angeblicher Landsleute am Osten und an denen aus dem Osten.

13. April 2021
Es gibt nichts zu vergeben. Dem Mörder ließe sich vergeben, auch noch von den Kindern der Ermordeten. Den Kindern und Enkeln der Mörder läßt sich nicht vergeben. Sie sind so viel und so wenig schuldig wie die Kinder der Zuschauer oder der hilflos Widersprechenden. Aber sie alle können sich neue Schuld erwerben, wenn sie vergessen oder zu vergessen vorgeben, wenn sie die tätige Reue ihres Volkes und ihrer Nation verweigern.

12. April 2021
Wir geben euch demnächst Freiheiten – das sagt man denen, denen die Freiheit verweigert wird.

11. April 2021
Während ich zwischen den Feldern laufe, überholt mich grußlos eine Frau. Schon Heidegger sah sie und verfiel auf den Begriff DAS GESTELL.

10. April 2021
Seltsam, daß Markus Lüpertz laut den Radiopriestern 1941 in Liberec in der Tschechoslowakei geboren werden konnte, als diese schon drei Jahre nicht mehr existierte. Die Hörer müssen dankbar sein, daß ihnen schwierige Gedanken erspart bleiben. Die Geschichte und die Geschichten haben die Verpflichtung, einfach zu sein und in einfacher Sprache erzählt zu werden.

9. April 2021
Ist etwas Kälteres, Abweisenderes, Feindseligeres denkbar als die Architektur des Innenministeriums in Berlin?

8. April 2021
Der „Bau sechs festlicher Jahrtausende“, das ist so wahr wie die Schönheit der gotischen Kathedralen zwischen der lange unvollendeten in Köln und der dauerhaft unvollendeten in Beauvais. Aber wahr ist auch das Schreien der Menschheit in den sechs Jahrtausenden, wahr sind Hunger, Seuchen und Qualen aller Art.

7. April 2021
Die Essenz ist die Ingredienz des Wirklichen – alles aufgehoben und nichts zurückverwandelbar. Insofern ist die Kunst die Chiffre der Realität, ihr Geist.

6. April 2021
Mitleid mit Zoë Beck, die mit ihren vielen Mitteln und Möglichkeiten steckengeblieben ist im Gefängnis der höheren Töchter und der Cityjobberinnen.

5. April 2021
Die verletzt Aufheulenden: Sadisten, die die kritischen Geister quälen wollen.

4. April 2021
Auch die Vermassung hat ihren Ort. Der einsam blühende Löwenzahn am Rand eines Waldweges.

3. April 2021
Willy Brandt in Warschau auf den Knien nach der Biene Maja und noch nach der Haselmaus – solch eine tiefe (tief blicken lassende) Reihenfolge entsteht, wenn man die Spießer befragt, welche Briefmarke denn wohl hübscher sei.

2. April 2021
Unsere Weigerung, in den Zecken einen Teil des Großen Ganzen zu sehen.

1. April 2021
Ein amputiertes Land, das seine Mitte verloren hat, als es das eine Drittel verlor.

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