Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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BELLSCHEN


Erster Akt.
Erste Szene.
An der Grenze. Ostbellschen wird vorgestellt. Die ersten Streite.

Eine Art Reisebus oder jedenfalls die Andeutung eines Reisebusses. Der (Reise)Führer vorn am Steuer, auf den beiden ersten Sitzbänken rechts Frau Kern und Herr Stern, links Karl Arsch und Frau Globalski, dahinter – als Schaufensterpuppen oder Pappkameraden – ein Schwung meist kleinerer und kindischer Mitfahrer.

Der Führer:  Verludert, schlampig, mafios – das ist alles hier beieinander. Ein herrliches Land! Diese stille grüne Weite. Hier an der Grenze geht es erst einmal los mit Wald. Hier sieht es noch richtig germanisch aus und da – liebe Gäste – da hat sich doch vor einem Jahr oder ist es schon zwei wieder her meine verflossene jüdische Freundin aufgeregt, Sie denken sich, unser Führer ist da nicht so pingelig und ist tolerant, haben Sie ja auch echt recht damit, im Bett sind alle Katzen grau, was wollte ich noch sagen, ach so, regt sich also wie gesagt diese welche jüdische Ex von mir darüber auf, ist schließlich schon lange vorbei mit ihr, wie ich zu ihr sage damals: „Mädel, das hier gehört noch zu Germanien, das ist so deutsch wie meine Hosentasche.“ Sollen sie sich doch aufregen, all die Ignoranten. Kümmert uns nicht, warum auch. Wir sind hier in Bellschen, in den Ostkantonen, wo die deutschen Bellscher wohnen. Hier ist es bene, hier ist Germania. Schaut nach draußen Leute, hier fängt er an, der bellsche Wald, der ist leck mich doch weiß Gott schön grün wie bei Muttern oder noch schöner.Und dann die lieblichen Täler, das gluckernde Wasser im Bach. Oder gerade wird die Straße geteert und drei Straßenarbeiter stellen sich ihre Klappstühle hin, Pause, Pause mitten auf der Fahrbahn, und sie sitzen und trinken und singen, bis sie gar nicht mehr die Füße hochkriegen, weil die Sohlen festgebacken sind und ihre Stühlchen auch. Da müssen sie Schuh‘ und Stühl‘ zurücklassen und barfuß ins Quartier und dann geben sie die Straße frei, damit irgendwann die LKWs den ganzen Schamott zu Schrott gebrettert haben und weg ist der Dreck. Daß Sie nicht noch aufräumen müssen. Ja, das ist Leben und Lebensart. Das ist deutsche Gründlichkeit plus französische Lockerness.

Frau Kern:  Wenn es hier wie zuhause ist, dann will ich sofort zurück. Das kann ich billiger haben. Da bleibe ich, wo ich bin. Wenn ich reise, dann soll es mir ganz anders werden.

Der Führer:  Keine Panik! Ich sprach bisher nur über Ostbellschen, Gnädigste. Da bleibt noch ein Dutzend Himmelsrichtungen übrig. Der Osten, das ist wahr, ist ein bißchen wie bei uns. Aber auch nicht nur. Eigentlich ist es schon irgendwie anders. Und der Rest ist komplett anders. Da gibt es (er hält verschwörerisch die Hand vor den Mund, nuschelt und tuschelt) da gibt es ganz ganz schlimme Sächelchen. Da lohnt jede Reise. So versaut wie da ist es nirgends sonst.

Herr Stern:  Bitte mäßigen Sie sich doch! Denken Sie auch an die Minderjährigen unter den Mitreisenden. (Dreht sich nach hinten, macht eine begütigende Geste.) Kinder, ihr schaut jetzt einmal ganz aufmerksam aus dem Fenster. Und schreibt alle Schilder auf, die ihr seht. Laßt euch durch nichts stören, was wir hier vorne reden. Bis später dann! (Nach vorne hin.) So, jetzt können wir ungestört plaudern.

Der Führer:  (Zischend, bollerig.) Ach nee, die Gäste regeln, was eigentlich das Amt des Führers ist. Nee nee, Freundchen, so nicht und mit mir schon gar nicht. (Schwenkt plötzlich im Ton um. Wieder friedlicher und leiser.) Also, den Osten haben wir abgehandelt, sogar mit Ausblick auf das Ganze. Schauen wir uns weiter um! Dieses herrliche Land! Absinthistan, Absurdistan. Das hat noch so viel zu bieten. Und ich Ihnen allen auch. Im Westen die dunklen Zauberhaine, die Burg derer von Bouillabaisse, der maurisch-romanische Garten von Serafin-Sarrazin, dann der Wald von Brocelante, wo sich Sim, Sala und Bim gute Nacht sagen (er kichert und hustet), dann im Norden das Moor und das Meer. Vielleicht kommen wir dort auch noch hin. Russelaare, wo die Touristinnen, weil sie es im Kreuz haben, natürlich von zuviel Hem-hem-hem, wovon denn sonst, in den Hotels erst einmal die Betten ausprobieren und probeliegen, und wenn dann der Etagenpiccolo nicht gleich mit ins Bett springt, ziehen sie weiter und sagen: „Das ist nicht der Bringer hier, das ist vielleicht hart hier.“ Oder Blommerde, da hält die Straßenbahn eine Viertelstunde auf der Hauptstraße, weil einer Brötchen holen ist und hat sich quer gestellt und noch einer rangiert herum, ein Pakistani von einer Untergrundfahrschule mit einer deutschen Lehrerin am Steuer, die Angst vor dem Fahren hat, obwohl sie ganz schön abgefahren ausguckt, aber irgendwann geht alles weiter und keiner hat auch nur gehupt.

Herr Stern:  Es sollen aber doch schon ein paar Frauen verschwunden sein. Werden wir davon auch was mitkriegen?

Der Führer:  Sie kriegen‘s. Garantiert! So wahr ich hier stehe.

Karl Arsch:  Sie sitzen aber.

Der Führer:  Dann stelle ich mich eben hin. (Steht auf.) So wahr ich hier sitze, euch allen werden die Augen übergehen. Darauf könnt ihr gleich einen lassen.

Frau Globalski:  Aber klar doch. (Bläst die Backen auf und erzeugt einen passenden Ton. Schaut sich zufrieden um.)

Der Führer:  Ein Schwein ist in jedem Stall. Frau Globulski, ich muß Sie bitten. Sie haben die ersten Minuspunkte auf ihrem Gästekonto. Abgerechnet wird später.

Frau Globalski:  Ich heiße Globalski. Und Sie, wie heißen Sie überhaupt? Ist mir aber auch egal. Sie sind sowieso bei mir unten durch, weil Sie meinen Namen verdreht haben. Eben hatte ich noch gedacht, den vernaschst du spätestens heute abend, der ist ganz schnucklig. Und jetzt sind Sie bei mir unten durch, ehe Sie unten dran waren. So schnell geht das. Pech für Sie!

Der Führer:  Schnauze. (Wischt sich den Mund ab.) Ich weise Sie alle aus gegebenem Anlaß noch einmal auf die von Ihnen allen unterzeichnete Reisevereinbarung hin. Paragraph Einspunkteins: Der Reisende/die Reisende unterwerfen sich von vornherein all dem, was der Reiseveranstalter aus guten Gründen oder ganz ohne Grund im Kleingedruckten vorsorglich angeordnet hat. Im Kleingedruckten finden Sie – ein Exemplar geht Ihnen ja ohnehin zwei Wochen nach Reiseende zu – den Hinweis, daß der Veranstalter durch seinen alleinbevollmächtigten Vertreter, sprich durch mich und nur durch mich, jedes Fehlverhalten durch Zuteilung von Korrekturpunkten und deren Umsetzung in adäquate Maßnahmen ahndet. Ich gebe also zu bedenken, Frau Globownik, daß Sie schon einiges bei mir gut haben und sozusagen schon bei mir im Salz liegen. (Schreit.) Im Salz! Kleingehackt, in Scheiben, gepökelt. Frau Globalski prustet und setzt an zu einer Verteidigungsrede. Sagt dann aber doch nichts.

Herr Stern:  Sagen Sie mal, wenn Sie der Globalski eins in die Fresse hauen oder ihr an die Wäsche gehen, könnte man da irgendwie mitmachen? So als Assistent oder so?

Frau Kern:  Aber Peter, wie kannst du nur! So kenne ich dich ja gar nicht!

Der Führer:  Nu lassen Sie ihn mal, Frauchen. Ihr Süßer muß sich halt mal austoben und sich die Hörnchen abstoßen. Na ja, wir schauen, was wir für ihn tun können. Frau Globalski gibt unverständliche Laute von sich. Dann kniet sie sich hin und streckt den Hintern in die Luft. Der Führer macht sich heran und streichelt ihn mit beiden Händen. Frau Globalski stöhnt leise. Der Führer stellt sich hinter ihr auf, nestelt nervös an seinem Hosenbund, bricht dann aber ab und läßt ihr lediglich einen Klaps zukommen.

Der Führer:  (Mehr zu sich.) Nicht mal geschrien hat das Mistvieh. Na , die kommt auch noch dran. (Lauter.) Ich war unterbrochen worden.

Alle:  (Rufen durcheinander.) „Ach bitte“ „Verzeihung“ „Es tut uns aufrichtig leid“ „Alles Liebe“ „Alles Gute“.

Der Führer:  (Macht eine scharfe Geste.) Still jetzt. Ich bin noch bei meiner Einführung. Also, was Bellschen eigentlich ausmacht im Vergleich mit anderen Partien von Eurolandia.

Karl Arsch:  Was für ein Dia?

Der Führer:  Du hältst die Fresse. Und zwar sofort. Auf solche Typen wie dich habe ich schon lange gewartet. (Er zückt sein schwarzes Büchlein und macht sich Notizen.) Dunkel.


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