Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

Romane · Kurze Prosa · Lyrik · Essays · Kinderbücher · Theatralisches
Künstlerische Photographie · Kopier-Kunst · (Material)Bilder



"PHANTAST, BÜRGER DES LANDES PHANTÁSIEN
WAR ICH IMMER ..."

Ein Interview von Eric Hantsch mit dem
Autor und Künstler Rolf Stolz
(Zeitschrift „CTHULHU LIBRIA“, Nr. 40, Dezember 2011)

CL: Hallo Herr Stolz, vielen Dank, daß Sie sich zu diesem Interview bereit erklärt haben! Ihr Name verbindet sich vor allem mit gesellschaftskritischen Texten und Sachbüchern, dem Leser phantastischer Literatur dürften sie deshalb wahrscheinlich noch nicht allzu bekannt sein. Könnten Sie sich deshalb erst einmal vorstellen?
Rolf Stolz: Ich bin ein Nachkriegskind aus der Bonner Republik, das – ohne selbst zu hungern und zu leiden – aus der Familie von Anfang an Krieg, Vertreibung, Flucht, Überlebenskampf mitbekam. Mein großes Glück: Ich wuchs zwischen Bahn und Barackenwildnis sehr viel einfacher und freier auf als die allermeisten Kinder heute. Die beiden ersten Jahrzehnte in Mülheim a. d. Ruhr: Schulzeit, Beginn des Schreibens mit zehn, erste Protestaktionen und Ausbruch nach Frankreich mit siebzehn, Rückkehr und „Reifeprüfung“. Danach dann ein Tübinger Intermezzo und die Kölner Jahrzehnte: 68er-Aktivismus, das erste Buch 1978 mit Gedichten, die grüne Gründerzeit und seit 1990 rund 20 Bücher, einige zeitkritisch, die meisten literarisch - 2 Romane darunter, Erzählungen, Gedichte. Seit 2001 stelle ich meine Photographien regelmäßig aus, teils auch im Ausland. Seit 5 Jahren lebe ich zwischen Köln und Bonn in Distanz zum Betrieb, wirke in manchem mit, nicht zuletzt im Projekt KUNSTGEFLECHT und in dessen Zeitschrift „RHEIN!“.

CL:
Was macht den Menschen Rolf Stolz aus und was ist ihm wichtig?

Rolf Stolz: Auch wenn man das eher die Menschen um mich herum fragen sollte - als Wort- und Bildkünstler, aber auch als Lebens- und Überlebenskünstler bemühe ich mich, mir treu und auf meinem Weg zu bleiben, entschlossen für die eigenen Wahrheiten und Werte einzutreten. Dazu gehört, immer wieder das Unmögliche und die Quadratur des Kreises zu versuchen: von möglichst vielen Lesern geliebt und verstanden zu werden, ohne sich zu verbiegen und marktgängigen Schund zu produzieren.

CL:
Was hat Sie veranlaßt, sich der Phantastik zuzuwenden?

Rolf Stolz: Ich schreibe für phantasievolle und phantasiebegeisterte Enthusiasten, für Menschen, die wissen, daß sie einmal Kinder waren und die sich noch ein Stück wieder in Kinder verwandeln können. Phantast, Bürger des Landes Phantásien war ich immer. Wunsch – und Alpträume geistern durch alle meine Bücher. Die andere Welt, die Gegenwelt hat mich als zentrales Menschheitsthema immer schon bewegt – auch als dies verpönt war als unpolitisch und reaktionär. (Ganz nebenbei: Wenn der momentane Fantasy-Hype neue Leser mit sich bringt und die auf die Dauer Besseres als ein bisschen Bisschen und lange feuchte Zähne erleben wollen – warum nicht?)

CL:
Haben Sie schon frühzeitig den Wunsch gehegt, Schriftsteller zu werden?

Rolf Stolz: Meine Patin, die älteste Schwester meines Vaters, prophezeite bei meiner Taufe, aus mir würde ein Dichter werden. Seltsam, daß sie es vorher wußte oder es zu wissen meinte, seltsam, daß ich diese mir lange unbekannte Vorhersage wie einen Auftrag erfüllte. Sehr früh begann ich, Buchstaben zu entziffern und hemmungslos zu schreiben – mit Vorliebe auf den Tapeten der elterlichen Wohnung. Mit neun oder zehn notierte ich meine ersten Geschichten und Gedichte – meist im kleinsten Raum unserer kleinen Dachwohnung, dem einzigen, den ich von innen abschließen konnte, auf dem Papier, das zur Hand war, nur für mich.

CL:
Welche Autoren des Genre bevorzugen Sie?

Rolf Stolz: Zunächst einmal sind es die Klassiker wie Poe, Lovecraft und Tolkien, denen ich manches verdanke, aber auch Hans Henny Jahnn muß hier genannt werden, dessen „Holzschiff“ auf einzigartige Weise Abenteuer und ewige Rätsel vereint. So wie ich als Kind nebeneinander her Jerry Cotton und die Buddenbrooks las, so gestehe ich freimütig, daß ich Stephen King und andere, angeblich „unseriöse“ Autoren, darunter etliche deutsche Kollegen, mit Gewinn lese. Allerdings verdanke ich in Sachen Phantastik einem bestimmten Menschen, der schon lange tot ist, mehr als jedem professionellen Schreiber: meinem Onkel Friedrich Leske. Er war ein Bauernsohn aus Wolhynien, ein Bär von einem Mann, mit gütigen Augen und einer tiefdunklen Stimme. Mir, dem Vorschulkind, erzählte er aus dem Stegreif schwärzeste Nachtgeschichten, in denen uralte Volksmythen und das Grauen des Krieges eingeschmolzen waren – Gott sei Dank nicht „kindgerecht“, sondern schrecklich und herrlich.

CL:
Können Sie sich noch an alle Geschichten, die Ihnen Ihr Onkel erzählte erinnern und könnten Sie sich vorstellen, diese eines Tages zu Papier zu bringen?

Rolf Stolz: Ich kann mich an manches erinnern, das in meine Bücher eingegangen ist, dort eingeschmolzen wurde. Vieles andere ist vergessen, genauer gesagt ins Unbewußte abgesunken und strahlt von da aus unbewußt, aber kräftig in meine Tages- und Nachtgedanken. Ohnehin gibt es keine Kunst ohne Weglassen, Aussparen, Andeuten, Verrätseln.

CL:
2008 erschien in der Edition Bärenklau „Das Haus auf der anderen Seite“ und erst kürzlich wurde Ihr neuster Titel „Das Blutmeer, Die Treppe aus Glas“ ebenda veröffentlicht. Welche Idee stand hinter diesen beiden Büchern?

Rolf Stolz: Beide Bücher entwerfen eine Welt aus den Augen eines Kindes – unmittelbar im „Haus auf der anderen Seite“, während im „Blutmeer“ ein alter Mann auf seine Jugend zurückblickt. In beiden Büchern geht es um Grundsituationen an der Grenze von Leben und Tod, an der Grenze von Wirklichkeit und Wahnbildern. Beide Bücher handeln vom Aufbruch – ins Leben hinaus, zu fernen Zielen, in Richtung auf eine Art Entscheidungsschlacht.

CL:
Haben Sie eine bestimmte Inspirationsquelle oder woher bzw. woraus schöpfen Sie Ihre Ideen?

Rolf Stolz: Es kommt manches zusammen – Erinnerungen aus dem Leben (im „Blutmeer“ eine Spanien-Reise 1975 quer durch das Land und mehrere Konfrontationen mit Todesgefahr), Träume, Gedankenspiele, Lesefrüchte. Es geht eben immer darum, zu leben und aus dem Leben möglichst viel zu machen.

CL:
Wenn Sie an einer neuen Geschichte arbeiten, wie sieht der Schöpfungsprozeß aus? Bereiten Sie alles genau vor oder sind Sie mehr der „Spontanschreiber“?

Rolf Stolz: Ich trage meine Geschichten oft jahrelang mit mir herum. Wenn es an der Zeit ist, wenn es „funkt“, also Funken schlägt und Signale aus dem Innenraum durchdringen können, schreibe ich sie nieder. Vorher sammele ich viele Materialien, aus allen Ecken des Spektrums, von denen ich aber nur Fragmente verwerte.

CL:
Welche Form des Schreiben bevorzugen Sie, mehr die Kurzgeschichte oder doch eher den Roman?

Rolf Stolz: Eine kaum zu beantwortende Frage, denn ich liebe das Fräulein Kurzgeschichte und die Grande Dame Roman gleichermaßen. Allerdings spielen die Zeit und die Umstände ihre Rolle. Ich habe meinen ersten Roman erst begonnen, als ich vierzig war. Ich war überzeugt, daß ich zunächst leben müsse – zwei Jahrzehnte als Kind und Jugendlicher, zwei Jahrzehnte als Erwachsener – ehe ich genug erlebt und zu sagen hatte und den großen Bogen quer durch die Welt schlagen konnte. Hinzu kam, daß ich bis Ende der achtziger Jahre eingespannt war in den politischen Aktivismus und meist nur Zeit fand für schnelle, knappe Texte. Seit den neunziger Jahren dagegen kreist vieles um den nächsten Roman. Manchmal ist dann eine „Nur-Roman-Etappe“, wenn dieser wie der „Gast des Gouverneurs“ in dreieinhalb Monaten fertig wird. Der auf ihn folgende Roman benötigte drei Jahre – da blieb dann zwischendurch viel Raum für kurze Erzähl-Intermezzi.

CL:
Was ist für Sie das Reizvollste am Schriftstellerdasein?

Rolf Stolz: Reizvoll ist die Herausforderung – sich heranzuwagen an eine Form und einen Stoff, vorläufig zu scheitern und neu zu beginnen, trotz allem ein Ziel erreichen zu können und danach noch dafür zu kämpfen, daß aus einem Manuskript ein Buch wird, daß der Ruf von innen nach draußen in der Welt gehört wird. Reizvoll ist, aus sich herauszugehen, aus sich herauszukommen – und mit jedem offenbarten Geheimnis ein neues Rätsel aufzugeben.

CL:
Gibt es einen oder mehrere ihrer Titel, die Ihnen besonders am Herzen liegen; und wenn ja, warum gerade diese?

Rolf Stolz: Ganz besonders nahe sind mir zwei Bücher: Mein Gedichtband „Städte und Flüsse“ (Kidemus Verlag Köln 2001) und mein Roman „Der Gast des Gouverneurs in der Wand des Kraters“ (Alkyon Verlag Weissach i. T. 2001; nach der Liquidation des Verlags nur noch über mich lieferbar). Die „Städte“ bringen Gedichte von 1962 bis 2000, aus jedem Jahr mehrere, von den Anfängen an, nämlich meinem ersten bewußt literarischen Text „Bei Betrachtung“, den ich als Dreizehnjähriger schrieb. Mein Roman ist der einer Epoche (der siebziger und achtziger Jahre) und einer Spezies - der Traveller, jener halben gewesenen Revolutionäre, die neue Welten jenseits des alten Europa suchten und im Nirgendwo oder im Tod ankamen.

CL:
Könnten Sie sich auch vorstellen mit einem anderen Autor zusammen zu arbeiten oder sind sie mehr der „Einzelkämpfer“?

Rolf Stolz: Ich arbeite gern mit anderen zusammen, habe das auch mehrfach als Herausgeber, Tagungsleiter, Veranstaltungsorganisator, Moderator oder Redakteur getan. Auch das KUNSTGEFLECHT ist ja ein kollektives Projekt. Andererseits hat sich eine Zusammenarbeit mit einem einzelnen Autor bei einem „Buch zu zweien“ bisher nicht ergeben. Schauen wir mal, was kommt.

CL:
Oft erwähnen Sie die Kindheit und auch „Das Blutmeer“ und „Das Haus auf der anderen Seite“ werden (wie Sie selbst sagen) aus der Sicht eines Kindes geschildert. Welchen Reiz macht es für Sie aus, aus dieser Perspektive zu erzählen und gibt es dafür einen bestimmten Grund?

Rolf Stolz: Der Mensch am Anfang ist wilder, schöpferischer, phantasievoller als die vom Leben auf Anpassung und Vorteilsberechnungen zurechtgeschliffenen Erwachsenen. Viel zu viele von uns vergessen, daß sie einmal Kinder waren. Notgedrungen wird man älter und kälter, aber gerade deshalb will ich mir ein Stück die unmittelbare, ungekünstelte Sicht auf die Welt bewahren, die ich als Kind hatte.

CL:
Eingangs meinten Sie, ich zitiere: „Wenn der momentane Fantasy-Hype neue Leser mit sich bringt und die auf die Dauer Besseres als ein bisschen Bisschen und lange feuchte Zähne erleben wollen – warum nicht?“ Der unbedarfte Leser, der gerade zu einem solchen Buch greift, könnte nun fragen: „Gibt es denn etwas Besseres? Ist das nicht die Krönung der Phantastik, schließlich kommt es von den großen Verlagen?“ Was würden Sie darauf antworten?

Rolf Stolz: Es gibt gute und große Bücher aus großen Verlagen (und natürlich andererseits auch Schrott aus kleinen), aber da inzwischen in den Buchfabriken Betriebswirte und Profitmaximierer das Programm vorgeben, dominiert dort die standardisierte Einheitskost, das dünne Fast-Food-Süppchen. Wer das Besondere und Einzigartige sucht, hat als Leser die besten Chancen bei jenen Verlagen, die wie Pfadfinder und Trüffelschweine die faszinierenden Entdeckungen machen.

CL:
Ihr Buch „Das Blutmeer“ wurde auf höchst atmosphärische Weise illustriert. Können Sie uns etwas über den Künstler erzählen?

Rolf Stolz: Verschiedene Künstler, sehr verschiedene Künstler haben bisher meine Bücher illustriert: eine rumänische akademisch-realistische Malerin (Kornelia Windhab), eine phantastisch-surreale Russin (Marina Volkova), ein deutsch-algerischer Maler mit abstrahierender Vereinfachung der Wirklichkeit (Said Kahla). Michael Sagenhorn, der Illustrator des „Blutmeers“, kommt aus einer anderen Generation und einer anderen Richtung, von der Computergraphik. Diese Zusammenarbeit hat mir etliche Anstöße gegeben.

CL:
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Jörg Munsonius und der Edition Bärenklau?

Rolf Stolz: Jörg Munsonius kenne ich aus der Korrespondenz anderthalb Jahrzehnte, persönlich einige Jahre. Als Herausgeber der legendären Jubiläumsnummer 100 der Zeitschrift „Fantasia“ (2 Bände „Pfade ins Phantastische I-II“, 698 Seiten) bat er mich 1996 um einen dafür geeigneten Text. Er erhielt und veröffentlichte „Frau Knab“, eine Studie über eine dämonische Mutter-Hexe. Dem Verleger aus Begeisterung und Berufung Jörg Munsonius verdanke ich sehr viel – er hat mich nicht zuletzt ermuntert und ermutigt, das „Blutmeer“ zu Ende zu bringen.

CL:
Gibt es schon ein neues phantastisches Werk, an dem sie arbeiten und wenn ja, könnten Sie uns schon etwas darüber erzählen?

Rolf Stolz: Ich habe einen Roman begonnen, in dem das Verborgene und Dunkle als fremde feindliche Macht einbricht in das ziemlich normale und ziemlich verpfuschte Alltagsleben eines Alltagsmenschen. Es geht um Dinge, die viele Menschen heute empfinden: ferngesteuert und von Fremden gelebt zu werden, sich nicht mehr zu gehören, über die Marionettenschnüre zu stolpern und unaufhaltsam in den Abend der Zerstörungen zu geraten.

CL:
Wir bedanken uns recht herzlich für dieses umfangreiche Interview und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute!