Rolf Stolz · · · Literatur und Photographie
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ER SUCHT SIE
Er war angekommen, wie er immer angekommen war in dieser Stadt, mit dem Zug, Station der Heiligen Lucia, flach und betoniert, sollte den Fremden sagen, wenn sie zurückkommen aus der halbtoten Stadt, verstört und glückstaumelig zurückkommen: „Das erwartet euch, wenn ihr Venedig verlaßt. Wieder diese viereckige ausgelotete Welt. Die Diktatur der Rechtecke und der richtigen neunziggradigen Winkel, der Pesthauch der Autobahnen, Blockhaus um Blockhaus und lauter stumpfe steinerne Gesichter. Bleibt hier, das ist der letzte Platz, an dem es noch Menschen gibt oder jedenfalls das, was von den Menschen übrig ist. Menschen, die einen ganzen Tag auf dem überflüssigen Gemüseboot eines bankrotten Gemüsehändlers in der Sonne hocken und selbst als die Sonne weg ist, blicken sie nur kurz auf und knurren gegen den Wind an. Menschen, die eine halbe Stunde suchen, bis sie die Gasse gefunden haben, in die es nur durch einen Durchgang geht, durch eine Hausunterführung, und dann fragen sie nach einem durchgedrehten Maler, der vor zwei Jahren hier gewohnt haben soll und die einen sagen, den gab es noch nie hier und die anderen behaupten, es könnte ihn hier gegeben haben, aber wenn, dann sei er weg wer weiß wohin. Menschen, die keine waren, als sie nach Venedig kamen und es da erst noch wurden und dann blieben sie bis zum Umfallen hier oder sie stehlen sich weg, inwendig schon total zerfressen, und kurz vor dem Bahnhof sind sie schon keine Menschen mehr, sind nur noch Rosträdchen in der Höllenmaschine, Verstellelemente im riesigen hirnlosen Rechengerät, Schieberbediener, Funktionierer und all die sonstigen monströsen Kader-Kakerlaken, dieser Kompost-Kompott, den die Todesengel solange eindicken, bis sie über ihn im Parademarsch promenieren können wie Jesus über das plötzlich gefrorene Flammenmeer. |