Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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Ein Dichterleben oder:
Das Erfolgsrezept für Pop und Poesie


Herr Georg Gernerhöht, als Dichter
seit langem tätig, zündet täglich Lichter
auf seinem Leuchter mit den sieben Armen,
bittet anschließend um Beistand und Erbarmen
die hehren Götter der Poesie,
doch die, die hören auf ihn nie -
wie sehr er flehen mag in seinem Weihezimmer,
wie sehr er scharren mag mit seinen Hufen -
von oben niemals sich ergießt der milde Schimmer,
mit dem die Musen ihre treuen Kinder rufen.
Wo bleibt sie nur, wo bleibt sie nur,
die Stimme urgewaltiger Urnatur,
die vielgerühmte INSPIRATION?
Die Worte fließen aus der Feder zwar, doch fliegen sie sogleich davon,
zeigen sich nur kurz, sind schnell ins Nichts verschwunden,
und was auf dem Papier dann übrig bleibt,
den Menschen wie den Höllenhunden
sichtbar
ist ziemlich verzichtbar
und es beschreibt
niemals das,
was
es eigentlich beschreiben soll -
mit Poesie und Weisheit nur so voll
hätte Georg Gernerhöht seine Hervorbringungen gern,
jedoch das Chaos gebiert zwar den einen oder anderen tobenden Stern,
aber – geklagt sei es dem Herrn –
selbst die entpuppen
sich sogleich als Sternschnuppen,
hohl wie Strohpuppen
und ebenso flott verglüht,
dünn wie Bettelsuppen
und nicht erquickend für Gedächtnis und Gemüt.

Wenn nun ein solcher Mensch, der von sich denkt, er dichtet,
verzweifelt Wort für Wort vernichtet
und ausstreicht all den Unsinn, den er eben schrieb,
daß nahezu nichts mehr von allem übrig blieb
als nur noch ein viellöcheriges Sieb,
daß völlig verdunstet sind Gefühle und Gedanken,
ja dann, kaum kann er noch vom Schreibtisch in die Kneipe wanken,
stammelt perplex der Dichter: „Was bin ich bloß
heute so grausam gedankenlos!“

Herr Georg Gernerhöht, obwohl die Kritik seiner eigenen Werke
nicht unbedingt seine besondere Stärke,
bemerkt höchstselbst, daß es in seiner Poesieproduktion irgendwie hapert -
wie gern hätte er die elysische Barke gekapert,
in der die Musen zur Dichterinsel segeln,
auf welcher sie später dann mit rundgeschliffenen Büchern kegeln,
um umzuwerfen jene unvergleichlichen neun Weltwunderwerke,
die, wenn sie alle neune fallen, allein durch Geistesstärke
einen Geistesblitz aussenden,
der dort, wo er an irgendwelchen Enden
der Welt
quer durchs Fenster auf den Schreibtisch eines Dichters fällt,
sogleich
auf einen Streich,
ob früh am Morgen, ob am Abend spät,
neun Meisterwerke in den heißgeliebten Dichter-Rechner lädt,
die dann der Poetikus mit klammen zitternden Händen,
sich auf den Bildschirm zaubert, um sein Schicksal so zu wenden
und hinfort abzuräumen Preis
auf Preis,
und sei es auch für schlimmen Schund,
den zwei Wochen später schon kein Schwein, kein Hund,
nicht einmal der Kritiker wilde Schar,
mehr lesen mag - und eben riefen sie landauf landab noch „Wunderbar,
wer solche göttlichen Verse fand,
der führt uns froh in jenes ferne Land,
wo alles Klang und nichts Verstand,
wo keiner das noch hört, was er versteht,
und keiner das begreift, was in das Ohr ihm weht.“

Jedenfalls
und da bekommt der Dichter Georg Gernerhöht einen dicken Hals,
klappte es mit Musenvergewaltigung und Poesiepiraterie
bislang bei ihm noch nie,
Poem schrieb er um Poem,
mal harsch und schrill, mal angenehm,
aber außer den Familienmitgliedern, die sie alle lesen mußten
und vielfach schon auswendig wußten,
las niemand sie freiwillig,
und die Leser, die der Dichter mietete, waren nicht gerade billig,
nahmen dreißig Cent pro Zeile
und jagten durch die himmlischen Gedichte in höllischer Eile,
geradezu im Akkord
begingen sie an den Wortschönheiten Massenmord.

Doch, als Georg Gernerhöht feststellt,
daß die literarische Ober-, Halb- und Unterwelt
sich nicht beeindrucken läßt von seinen privaten handsignierten Drucken,
noch von gekauften Beifallspenderscharen oder dem genialischen Zucken
seines Oberlippenbärtchens oder seiner Lidfalte,
beschließt er bei sich: „Ich bin nicht länger der alte
hoffnungslose Gedichterfinder,
Leserquäler, Zeilenschinder.
Ab sofort diene ich nicht mehr, sondern MIR dient das Wort
als Mittel zu erreichen einen höheren Ort,
die hohe Warte des Ruhmes und Reichtums ist gemeint,
wo sich das schöne Schnöde mit dem schnöden Schönen eint.“

Und als ER so den ersten Band beendet
mit Werbesprüchen, Wahlparolen, Allerweltsweisheiten und diesen sofort sendet,
an den, der immer im Fernsehen allen sagt, was gut, was schlecht,
da trifft IHN, als er gerade froh mit Freunden zecht,
durchs Küchenfenster der berühmte Strahl
her von der Museninsel und diesmal
hat ER neun neue Meisterwerke sofort im Kasten -
ER mag jetzt ruhen, ER mag jetzt rasten,
mag rar sich machen und untertauchen,
sie sind IHM auf den Fersen, weil sie IHN brauchen
für fette Schlagzeilen in der Zeitung mit dem roten Stich:
IRRER DICHTER FÜRCHTET SICH
oder GEORG, BIST DU TOT?
Was sagen will
„Hab‘ doch Erbarmen, ende unsere Not,
und sei nicht länger verschollen und still,
wenn die Nation von DIR nur eines will,
daß DU ihr sagst, was Sache ist,
und voll in Action zu bestaunen bist,
wie DU, splitterpudelnackt und mit Fahrradketten behängt,
die Stirn schon blutig und vom Feuerschlucken die lila Haare versengt,
hinabspringst vom Felsen in den tosenden See,
kurz untergehst, doch dann mit Knalleffet
an Land eilst, in weißem Smoking und mit rosa Hut,
um italienisch chic beschuht
im Interview
ganz ausgechillt der Kulturcrew
hinüberzuflashen, wie man per Ear-Catcher die Community fängt,
weil der Hammer an DEINEN Lippen hängt,
aus denen Wellness und Wahnsinn schießen,
bis in den Wüsten Plastikblumen sprießen
und poetische Ströme sich ergießen -
genau dort, wo wir DICH für einige Sekunden aus den Augen ließen
und schon warst DU fort, womöglich von Außerirdischen entführt
und auf Andromeda zum Partnertausch verführt.
Ehre DIR, DU Erhöhter, dem Ehre gebührt . . .“


So sülzen sie herum, doch Georg Gernerhöht, in Echtzeitkontakt
mit seinem Event-Agenten und Hausjuristen, läßt erst den Kontrakt
verfassen, ehe er sich in persona zeigt
und am Abgrund den letzten Walzer geigt,
auf daß das rotbetitelte Bilderblatt
abläßt Kohle und Konfetti satt
und ihn hinfort nur noch POESIETITAN zu nennen hat.


* * *


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