Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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TAGEHEFT

ZUM TAGEHEFT
In den Tageheften habe ich seit dem 1. Mai 2011 Tag für Tag festgehalten, was mir wichtig war - in einem oder mehreren Sätzen. Hier im Netz sind diese Texte seit April 2013 erschienen. Das erste Tageheft (2011-2012) ist 2016 als Buch erschienen, das zweite (2013-2014) 2017, das dritte (2015-2016) 2018, das vierte (2017-2018) 2019 (siehe unter AKTUELLES).

30. September 2020
Die Wölfe predigen den Schafen die Gewaltlosigkeit.

29. September 2020
Die einen fürchten den Untergang, können aber nicht begründen, warum er erfolgen könnte. Die anderen leugnen jede Gefahr. Die dritten rebellieren ohne jeden Wunsch nach Erklärungen und Rechtfertigungen. Wir sollten die nicht fürchten, die gegen uns predigen und die nicht, die mit uns predigen.

28. September 2020
Was bedeutet eine Erinnerung an einen bedeutungslosen Halt an einer Tankstelle am Gießener Ring, an ein Rasenstück und Brötchen? Ist es nur der Umstand, daß jene Frau dabei war, der darin leuchtet?

27. September 2020
Die Antwort auf die Frage „Was hast du geschaffen, was willst du schaffen?“ sagt, selbst wenn sie in beredtem Schweigen besteht, alles über eine Person und ihr Potential.

26. September 2020
Verabsolutierungen und Reinraumphantasien gehören in die Welt der Märchen und Schlachtfestträume: Mit ihnen würde ein Historiker anzeigen, daß er aus Selbstschutz um ein Berufs- und Veröffentlichungsverbot bitten muß.

25. September 2020
Minderheit zu sein, allein zu sein ist der Preis jeder neuen Ansicht, jeder Einsicht in die Tiefen.

24. September 2020
Unabhängig von Begründungen für oder gegen eine Revanche an die Möglichkeit des Unmöglichen, an das Wunder glauben. Der polnische Gen-Anteil: Der Glaube. Der preußische: Das Wissen um das Fehlen einer Zeitangabe oder einer Garantie.

23. September 2020
Es kommt auf das Jahr an: Nach Massada schien eintausendachthundert Jahre die Revision so unmöglich wie die Entmachtung Hitlers 1935. Die Enkel der Römer trifft keine Schuld, aber auch die alten Ansprüche sind zu Staub zerfallen, solange sie nicht zum Leben erweckt werden in einem ewigen Krieg.

22. September 2020
Wir halten Anteile an gefälschten Titeln, wir präsidieren den unter dem Sand der Zeiten untergegangenen Wüstenbistümern.

21. September 2020
Sie, die glauben, etwas zu sagen zu haben in der Welt, fühlen sich sicher. Wer auch immer sich sicher fühlt, hat uns nichts zu sagen.

20. September 2020
„Er machte viele Worte.“ Ich hörte kein einziges Wort, nur eine große Anzahl Buchstaben.

19. September 2020
Läßt es den Tag uns gehören, wenn wir sein Datum notierten?

18. September 2020
Immer sind die zentralen Worte dazu da, sich zu unterscheiden, nicht gleich zu sein.

17. September 2020
Ein Gedanke, der sich wieder entzog: Vielleicht nur, um zurückkehren zu können, reiner und näher an seiner Gestalt.

16. September 2020
Die Assassinen hatten keine Parteiuniform und keinen Herold, der ihr Erscheinen ankündigte. Der Dolch war ihr einziger Ausweis, ihre einzige Botschaft.

15. September 2020
Mit allen sprechen heißt auch: Unter Waffen debattieren, solange der Frieden sich halten läßt.

14. September 2020
Die Wirklichkeit erkennen, wie sie ist, und sie anerkennen in jener Form, die sie in Zukunft haben soll.

13. September 2020
„Voluntarismus“ ist das Schimpfwort für den uns unerwünschten Willen der anderen.

12. September 2020
Nicht einmal zerdenken können wir uns. Auch können wir zwar über Einzelnes in und an uns nachdenken, aber niemals uns ganz sehen und ganz denken, es sei denn in Fiktionen und Konstruktionen.

11. September 2020
Die Schlange, die den Walfisch verschlingen will, kann nur resignieren oder sich sagen: „Ja, wenn ich ihn zerteilen könnte.“

10. September 2020
Immer erregt der Aristokrat den Zorn der Sklaven.

9. September 2020
Glauben ist jenseits jeder Objektivierung. Ich glaube dir, ich glaube dich, ich glaube an dich …

8. September 2020
Der Grundfehler jener Theologen, die nicht glauben, ist es, Gott zu denken. Aber der, der absolutes Subjekt ist, ist zwar zum Objekt zu erklären, aber damit ist nichts erklärt, verschwindet Er in die Unbestimmbarkeit.

7. September 2020
Denken ist Selbstverteidigung. Dort, wo es um die Existenz unseres geistigen Selbst geht, hat der Existentialismus sein begrenztes Recht in der Betonung unserer Rolle als einsamer, auf sich gestellter Kämpfer.

6. September 2020
Denken: Für sich. In einem doppelten Sinn.

5. September 2020
Alle schnellen Gedanken sind fehlerhaft und führen schnell in die Irre. Natürlich gibt es langsam Gedachtes, das falsch ist und bleibt. Aber alle schnellen Gedanken sind langsam gedacht und können, wenn sie nicht lediglich repetiert werden, nur langsam nach außen treten.

4. September 2020
Eine Eingebung ist kein schneller Gedanke, da sie nicht in einer bestimmten Zeitdauer gedacht, sondern jetzt und gleich empfangen wird.

3. September 2020
Wer sich die Hände bindet, wird angewiesen sein auf Mäzene der Wehrlosigkeit.

2. September 2020
Die Größe des Abgrunds ist irrelevant. Bedeutsam ist die Beschaffenheit seiner Ränder. Seine Tiefe ist irrelevant, sobald sie eine Grenze überschreitet, jenseits der wir den Aufschlag nicht überstehen werden.

1. September 2020
Wer sich nicht unterscheidet, verdient nicht zu zählen und einberechnet zu werden.

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