Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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TAGEHEFT

ZUM TAGEHEFT
In den Tageheften habe ich seit dem 1. Mai 2011 Tag für Tag festgehalten, was mir wichtig war - in einem oder mehreren Sätzen. Hier im Netz sind diese Texte seit April 2013 erschienen. Das erste Tageheft (2011-2012) ist 2016 als Buch erschienen, das zweite (2013-2014) 2017, das dritte (2015-2016) 2018, das vierte (2017-2018) 2019 (siehe unter AKTUELLES).

30. November 2019
Ertrinkend in einer uferlosen Menschenflut streben sie neuen Ufern zu.

29. November 2019
Sind die Feinde des Nationalsozialismus, die dessen Morde und Verwüstungen offen ansprechen und sie, soweit dies möglich ist, rückgängig machen wollen, Revanchisten? Sollen sie sich friedlich abfinden lassen mit Vergebungsversprechen?

28. November 2019
Die Phantasmagorie, zum größten Verbrecherland und – volk der Geschichte zu gehören: Schuldglück, Selbstqualgenuß.

27. November 2019
Was ist Ausnahme, was ist Regel? Sind zwanzig Prozent Verbrechen noch eine Ausnahme? Selbst unter den Nationalsozialisten gab es Ehrenarier und parteitreue Homosexuelle, die man in Ruhe ließ oder sogar begünstigte. Nur die Juden und die Zigeuner wurden als Gesamtheit terrorisiert. Wie in der DDR war es eine Minderheit der Bevölkerung, die damals aktiv verfolgt wurde. Ein kleiner Teil dieser Minderheit wurde ermordet, ohne daß dieses Zahlenverhältnis die Diktatur im mindesten gebessert und ihren Schrecken verringert hätte.

26. November 2019
Die Behauptung, sich zu erinnern, ist in der Mehrzahl der Fälle eine wohlmeinende Lüge.

25. November 2019
Sie projizieren ihren Wiederholungszwang in eine Geschichte, in der nichts bleibt, wie es ist, und nichts sich wiederholt, wie es war.

24. November 2019
Erinnerungen an Nicht-Erlebtes und nur Eingebildetes beherrschen uns. Wie sollten wir sie beherrschen, wo sie uns doch nicht gehören und uns nichts mit ihnen verbindet außer einer von uns künstlich erzeugten Nabelschnur?

23. November 2019
Wie werden die in ihrer tragischen Theaterposse gescheiterten Anti-Menschen reagieren, wenn selbst sie ihre Niederlage bemerken? Werden sie, wie es für die häßlichen Hasser und die in die Kontinuität des Mißerfolgs Eingebetteten typisch ist, aus Hilflosigkeit und Erbärmlichkeit zu den Waffen greifen?

22. November 2019
Das Bedürfnis der Lügner und Schleimer, die Toten mit deren Vornamen anredend eine innere Nähe zu ihnen vorzuspielen. Joseph Fischer, der in der Beethovenhalle als scheinheiliger Trauerredner von „Petra“ sprach, daß sich die Deckenbalken bogen. Ja, „Ulrike, im Knast vernichtet“ (so in seiner „Römerbergrede“ zwei Wochen nach den Stammheimer Selbstmorden) gehörte jedenfalls wesentlich eher in die Verpartnerung mit ihm.

21. November 2019
Wie sehr eine unbewiesene und unbeweisbare Behauptung, der Faschismus sei schon da, die reale Faschisierung vernebeln kann!

20. November 2019
Mit aller Entschiedenheit lehnen die angeblichen Erben der sozialistischen Vorväter die alten Irrtümer ebens0 ab wie die alten Erkenntnisse. Sie plädieren für die Notwendigkeit, sich erneuert erneut zu irren.

19. November 2019
Ohne Zwang vereinigte sich der Herr mit dem Knecht, der Herr mit der Magd, der Aufseher mit den Gefangenen.

18. November 2019
Niemand kennt dich? Du Glücklicher, die Schergen deiner todsicheren Feinde werden dich nicht finden.

17. November 2019
Als Rechtfertigung genügt ihnen ihr Anspruch, aber Ansprüche stellen alle und automatisch resultiert aus keinem Anspruch irgendein Recht.

16. November 2019
Aufrecht und aufrichtig jene Mörder, die im Sommer der Entschuldigungen den Kniefall verweigern. Im Chor der Geheimen werden sie an den Rand gebeten, in die hinterste Reihe.

15. November 2019
Schon der Gedanke, den du eben hattest, ändert sich in der Wiederholung des Denkens – erst recht im Aufschreiben, da jede geänderte Form stets den Inhalt ändert. Das, was im Prozeß der Versionsgeschichte zwischen den Punkten der ergebnishaften Sichtbarkeit liegt, bleibt unzugänglich im Dunkel. Daß du von hier nach da kamst, mag offenkundig sein, aber wie du gingst, entzieht sich deinem Blick.

14. November 2019
Wer der Zensur unterworfen wird, erhält damit bereits eine gute Zensur und ein erstes Stück Bedeutung.

13. November 2019
Tragischerweise fiel einen Tag lang kein Schuß. Sogar die Uhren konnten über Jahre hinweg angehalten werden. Dennoch aber wäre es für alle besser gewesen, ein kurzes Massaker zu erleben, gefolgt vom sofortigen Abtritt der Dämonen und Blutsauger und dem jahrzehntelangen Intermezzo einer grundgereinigten Atmosphäre.

12. November 2019
Wir alle wünschen uns einen sanften und heiligen Führer. Aber vor die Wahl gestellt, von einem solchen in die Irre geleitet zu werden oder einem stinkenden Säufer und seiner Knute an unser Ziel zu folgen, ist die Entscheidung nicht allzu schwierig.

11. November 2019
Du hast den Frieden gerettet. DEINEN Frieden, Deinen Frieden für dich?

10. November 2019
Daß das Kainsmal vernarbte, verhinderte für einige Zeit, daß Kain verblutete.

9. November 2019
Aus einer Geschichtsdebatte erneuert zurückgekehrt hatten sie ihre eigene Geschichte vollkommen vergessen und verdrängt. Lediglich insofern erinnerten sie an das Vergangene, indem sie betonten, das Teil-Land der Verbrechen sei doch immerhin ein Versuch gewesen. Ja, ein Versuch von Verbrechern und Narren, gute Verbrechen gut zu begehen.

8. November 2019
Wenn nichts sozialistisch sein kann, was nicht demokratisch legitimiert wurde, was bleibt dann aus den letzten einhundertfünfzig Jahren vom Sozialismus? Nicht nichts, aber nicht viel.

7. November 2019
Erst das Verschwinden beweist, daß etwas geschehen war und Geschichte wurde.

6. November 2019
Müssen wir uns verstehen und verständigen? Genügt es nicht, wenn wir uns ertragen? Muß, wenn die Homosexualität zu propagieren zulässig ist oder dies sogar gefördert wird, , nicht auch der Gegenstandpunkt frei geäußert werden? Muß ich es verschweigen, daß mir Tätowierungen Unwohlsein erzeugen und bis zuletzt nicht nachvollziehbar sein werden, warum jemand seinen Körper bekriegt?

5. November 2019
War es von Bedeutung, ob jemand 1453 in Byzanz für das Bilderverbot oder gegen es war, ob er ein sympathischer friedlicher Zeitgenosse war oder nicht? War nicht die einzige Frage, ob er auf den Mauern kämpfte oder dem Feind die Stadttore öffnen wollte?

4. November 2019
Kein Stück Land wollt ihr den Griechen und den Armeniern zurückgeben? Ihr wollt keine Stolpersteine in Trabzon und in Smyrna unter euren Füßen haben, die an die Vertriebenen und an die Ermordeten erinnern? Wie wollt ihr jemals Frieden finden?

3. November 2019
Nimm ihnen die stete Anklage und den Zwang zur Reue und du nimmst ihnen die Chance, sich zu befreien und fähig zu werden zum Erkennen und Anerkennen der Schuld jener bestimmten, ihnen so nahen Menschen vor ihnen und zur Versöhnung.

2. November 2019
Du blickst durch eine Lücke zwischen den Bäumen auf ein leeres, abgeerntetes Feld. Du siehst niemanden, der dich sieht und doch könnte einer einen Moment dort sein und auf dich blicken.

1. November 2019
Selbst die Frage nach dem WARUM unserer Existenz ist leichter zu beantworten als die Frage, WER wir sind.

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