Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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TAGEHEFT

ZUM TAGEHEFT
In den Tageheften habe ich seit dem 1. Mai 2011 Tag für Tag festgehalten, was mir wichtig war - in einem oder mehreren Sätzen. Hier im Netz sind diese Texte seit April 2013 erschienen. Das erste Tageheft (2011-2012) ist 2016 als Buch erschienen, das zweite (2013-2014) 2017, das dritte (2015-2016) 2018, das vierte (2017-2018) 2019 (siehe unter AKTUELLES).

31. Juli 2019
Es spricht für die Intelligenz und Begriffsschärfe der Deutschen und ihrer Sprache, daß sie das Wort SCHADENFREUDE geprägt haben für eine allgemein menschliche Verhaltensweise, die den anderen Völkern nicht deshalb fehlt oder unbekannt ist, weil sie sie beschweigen.

30. Juli 2019
Da doch die Geschichte immer geschieht, wie sie geschieht, was nützen uns Postulate? Der Pestkarren nimmt seinen Weg durch die Totenheere - was uns bleibt, ist der Versuch, ihn ein Stück abzulenken von uns auf andere oder aber beiseitezuspringen aus seiner Bahn heraus.

29. Juli 2019
Man kann freie Menschen nicht vor sich selbst schützen. Aber Menschen vor ihrer Freiheit zu schützen ist möglich und in all den Fällen geboten, wo jemand sich nicht schützen kann vor seinen gefährlichen Wünschen.

28. Juli 2019
Unsinnige Verwirrworte: UNTATEN müßten als Nicht-Taten straf- und folgenlos bleiben, UNMENSCHEN als Tiere oder Halbgötter angesehen werden.

27. Juli 2019
Wer kein Mitleid hat mit den SS-Leuten, wer ihnen nicht vergibt, hat kein Mitleid und keine Vergebung. Das wird nicht aufgehoben durch die Notwendigkeit, sich den Weg freizuschießen zur Flucht, und die Notwendigkeit, für persönliche Taten bis zur Verjährung zu strafen.

26. Juli 2019
Gibt es eine Dimension, die in der Tat UNSERE ist und die nicht nur von uns als solche etikettiert und phantasiert wird?

25. Juli 2019
Über die Weite des Raumes erschrickt nur der, der sich bewegen will. Das Glück der stationär beschränkten Existenz.

24. Juli 2019
Es ist die Leere des Lebens, die dir das Gefühl gibt, du hättest dich leergeschrieben.

23. Juli 2019
Wie die Menschen durcheinander gewirbelt werden in den Ereignissen des Jahrhunderts, wie sie gezwungen werden, etwas zu sein, von dem sie zuvor nichts ahnten. In Algerien blieb den Arabern und Berbern der dritte Weg jenseits der FLN und der Harkis versperrt. Die Pieds Noirs konnten wählen zwischen sofortiger Flucht aus ihrer Heimat und dem mörderischen Kampf gegen die mörderischen Selbstbefreier, zusätzlich am Ende gegen eine französische Regierung, die zugunsten der Öl- und Militärinteressen die eigenen Leute verriet und verkaufte. Was bleibt in einer solchen Konstellation an persönlicher Schuld? Wo sind saubere Hände?

22. Juli 2019
Daß wir nur durch Jesus Christus zu Gott gelangen, läßt sich so übersetzen: Am Eingang für Götter und Engel werden wir abgewiesen, uns bleibt als Zugang unsere bescheidene Menschlichkeit.

21. Juli 2019
Die Fremden dürfen als zu allen möglichen Untaten fähig geschildert werden. Nur sobald einer von unseren großartigen Möglichkeiten als Landsknecht, Vergewaltiger, Folterer und Scharfrichter spricht, erntet er ungläubige Empörung und striktes Ableugnen. Wir sind ertappt, gestellt, es ist uns nachgewiesen.

20. Juli 2019
Auch wenn es ein befestigter Platz ist: Schon, ob du ihn halten kannst, ist fraglich. Noch fraglicher für die Kinder, eher unwahrscheinlich für die Enkel. Am zutreffendsten sind auf längere Sicht die allerallgemeinsten Aussagen ohne Angaben zu Zeit und Modi: „wird Zerstörung erleben“, „wird Änderung sehen“.

19. Juli 2019
Der Ort, den du erreicht hast, zählt – nicht die fade verwehende Erinnerung an den Weg dahin, an die Schlachten.

18. Juli 2019
Je weiter der Weg, umso kürzer fallen die Schritte aus.

17. Juli 2019
In kleinen Schritten eine Schlucht überqueren?

16. Juli 2019
Wachsen ohne Arbeit, Wachsen ohne Wunden? Auf einem Fliegenden Teppich?

15. Juli 2019
Eine Ordnung ohne Opfer ist undenkbar. Man muß daher unterscheiden zwischen den tragischen unvermeidlichen Toten, die jede Verfassung der Gesellschaft ungewollt und unbeeinflußbar mit sich bringt, und jenen Toten, die auf das jeweilige Konto zu buchen sind.

14. Juli 2019
Seit ich denken kann, habe ich keinen vernünftigen Grund gehört, der dagegen spräche, daß die Schulkinder an den Samstagen einen halben Tag gesellschaftliche Arbeit leisten – dabei sogar noch etwas lernen, debattieren, Gemeinschaftsgefühl entwickeln. Genausowenig hörte ich einen ernstzunehmenden Einwand dagegen, daß jeder nach Ende seiner Ausbildung ein oder zwei Jahre einen sozialen Dienst ableistet.

13. Juli 2019
Jede Gesellschaft und jede Kultur beruht auf drei Säulen: Arbeit als solche, Arbeit als effektive Leistung, schöpferische Arbeit. Der einzelne kann diese drei Bereiche gleichmäßig ausfüllen, aber er kann auch alle Kraft auf einen einzigen Sektor legen. Die aber, die jede Arbeit verweigern, sind nichts als Ballast der Kultur. Man kann dessen Aufgabe sehen wie beim Stabilisieren eines Schiffes.

12. Juli 2019
Das Ausreißen einiger wilder Kräuter, das Roden einiger Bäume als Voraussetzung für die neue Anlage. Aber es gibt Fanatiker des Tödlichen, die mit Asche und Beton die Wiederkehr der Natur verhindern wollen.

11. Juli 2019
Ich plädiere entschieden dafür, Dürer und Rembrandt modern zu übermalen. Auch van Gogh benötigt eine abstrakte Anpassung an uns Heutige. Wenn Bach verjazzt und das Theater unter dem Etikett REGIE die völlige Vernichtung der dichterischen Substanz klassischer Stücke zelebriert, warum sollte ausgerechnet die Malerei ausgenommen sein vom Bildersturm?

10. Juli 2019
Warum die Brombeerranken des Nachbarn, die über den Zaun wachsen, abschneiden, ehe die Beeren geerntet sind?

9. Juli 2019
Die Androhung des Todes – von dem Markgraf Joachim I. Nestor von Brandenburg („Jochimken, Jochimken, hyde dy, fange wy dy, dann hange wy dy“) bis zu einer zu hoch hinaufgeschobenen Frau – ist ein Normalfall der Geschichte und wird selten wahrgemacht. Gefährlicher sind – siehe Lincoln und Co. – die unvermuteten Angriffe aus den Kulissen.

8. Juli 2019
Zumindest im Regelfall bezahlen die Kunden bei den Damen mit eigenem Geld. Im Unterschied dazu werden die Kaufbaren aus dem politischen Sektor in aller Regel nicht von denen bezahlt, die sie nutzen, sondern aus öffentlichen Fonds und damit letztlich also von denen, die nicht nur nichts von den Vorgängen im Hintergrund haben, sondern noch dazu dafür bezahlen dürfen, daß sie bestohlen werden.

7. Juli 2019
Ist es völlig unbegreiflich, wenn jemand die sexuellen Huren den politischen vorzieht – nicht allein als die angenehmeren, sondern auch als die anständigeren?

6. Juli 2019
Ein Linker, der die Verbrechen der Linken leugnet, ist nicht weniger erbärmlich als all die Nazis mit ihrer Marschmusik und ihren fleckenlosen Souveniren. Nur aus einer rücksichtslosen historischen Selbstkritik könnte ein neuer Geist einer neuen Linken erwachsen.

5. Juli 2019
Die Réunion, die Wiedervereinigung, schon herbeigelogen, als das Elsaß zum allerersten Mal angegliedert wurde an Frankreich. Außen an eben dem Rathaus, das in seinem Museum deutlich betont, wie sehr sich Mathieu Mieg, Patrizier und Historiker Mülhausens, gegen den von den Pfeffersäcken und den Ideologen 1798 betriebenen Anschluß wandte. Die Fiktion, als sei das urfranzösische Elsaß kurzfristig von den Deutschen überrannt worden. Unionsgeschwätz, Befreiungslügen (anno 1918!) – statt mit schlichten Jahreszahlen zu konstatieren: Ab 1798 französisch, ab 1871 deutsch … Die Chirac & Co. demonstrieren auf Bronzetafeln, daß für sie Europa stets nur ein Sonntagsgeschwafel war.

4. Juli 2019
Hinter der Bastille: Die Vendée.

3. Juli 2019
Sei dankbar für den Fortschritt, von einer linken Kugel getötet zu werden. Sei dir bewußt, daß du zu einer Minderheit bedauerlicher Opfer gehörst, zu einer Randerscheinung, wo es doch mehr waren, die von der Rechten gemordet wurden.

2. Juli 2019
Je mehr sterben, je gewöhnlicher das Sterben wird, um so leichter stirbt der einzelne. Es sei denn, er gehörte zu den wenigen, die es gewohnt sind, gegen den Strom zu schwimmen.

1. Juli 2019
Wir sind allein mit uns.

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