Rolf Stolz     · · ·     Literatur und Photographie

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TAGEHEFT

ZUM TAGEHEFT
In den Tageheften habe ich seit dem 1. Mai 2011 Tag für Tag festgehalten, was mir wichtig war - in einem oder mehreren Sätzen. Hier im Netz sind diese Texte seit April 2013 erschienen. Das erste Tageheft (2011-2012) ist 2016 als Buch erschienen, das zweite (2013-2014) 2017, das dritte (2015-2016) 2018, das vierte (2017-2018) 2019 (siehe unter AKTUELLES).

30. April 2020
Das Recht verteidigen, nicht unterschiedslos allen helfen zu wollen, was ohnehin überhaupt nicht hilft, da es erstens niemals erreichbar ist, zweitens die verkrüppelt, die sich selbst helfen können und müssen. Die Schuld auf sich nehmen, die in jedem Auswählen liegt. Wie auch in der Liebe: Der, der vielen ein wenig zuteilt, gibt sich keiner ganz. Der, der sich ganz gibt, nimmt anderen fast alles.

29. April 2020
Die, die uns feindlich gesonnen sind, haben das Recht auf eine ehrenvolle Niederlage.

28. April 2020
Wenn zwei dir unbekannte Frauen dir auf einem Waldweg begegnen und die eine von ihnen lächelt dich an, während die andere ausdruckslos ernst bleibt – welche der beiden wird es aufgegeben haben und sich aufgegeben haben?

27. April 2020
Wir Schriftsteller fabulieren, phantasieren, schwindeln, lügen. Dort, wo aber in der Politik und in der politischen Publizistik vom NARRATIV und den ERZÄHLUNGEN die Rede ist, handelt es sich um Synonyme für das Wort LÜGE.

26. April 2020
Falls aber nicht die archivierbaren, den Umzügen und Autodafés entgangenen Briefe von Bedeutung sind, sondern das, was Schreiber und Empfänger in ihren Momenten fühlten, der unfaßbar verwehende Hauch.

25. April 2020
Als ihm bewußt wurde, daß man die Tatsache, daß er noch am Rande zu Worte kam, als Beweis für das Vorhandensein uneingeschränkter Freiheit mißbrauchte, beschloß er zu schweigen.

24. April 2020
Wie seltsam jene Schafe sind, die sich über die Feindseligkeit der Wölfe und deren Attacken wundern!

23. April 2020
Der Verdienst liegt darin, nichts daran zu verdienen und von vornherein verloren zu haben.

22. April 2020
Niemals sehen wir die Wand, die wir ZUKUNFT nennen. Sie liegt in nebelhafter Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit. Insofern haben diejenigen, die sich mit dem Rücken zur Wand zurückgedrängt fühlen, alles Recht der Welt, sich ohne das ihnen grundsätzlich verwehrte Wissen dennoch zu wehren. Niemand sollte von ihnen ein feinsinniges und regelkonformes Verhalten erwarten. Auch die nur empfundene Not kennt kein Gebot.

21. April 2020
Lamartine wußte, die Zeit ist uferlos. MEINE und DEINE Zeit: In einer sich schließenden Zange.

20. April 2020
Wissen wir unser Wissen oder meinen wir zu wissen?

19. April 2020
Was sich Elite nennt oder so genannt wird: In aller Regel Bodensatz bis günstigenfalls JUSTE MILIEU. Die berühmten Ausnahmen ändern wieder einmal nichts am Gesamtbild. Was nötig ist: In einem langen und strengen Prozeß eine neue Elite heranzubilden und auszuwählen – menschenfreundliche, kämpferische, solidarische Nach- und Vorausdenker. Diese Elite wäre gut für alle und alles.

18. April 2020
Je kleiner, umso schwerer zu treffen.

17. April 2020
In den Kindergeschichten und Romanzen wird gestohlenes Geld zurückgegeben. Wir aber, wir Kyniker und Hundefänger, wir sind gezwungen zu schreiben, wie es ist. In der Wirklichkeit wird nicht einmal ein Land zurückgegeben, zumindest nicht freiwillig.

16. April 2020
Journalisten und Priester – zwei vom Aussterben bedrohte Berufe, deren Verschwinden trotz der Erfreulichkeit des Abtritts einzelner Minusmenschen eine Lücke hinterlassen wird.

15. April 2020
Protestanten, die nicht protestieren, in ihrer Kirche und um ihre Kirche herum, Evangelische ohne Wurzelhalt im Evangelium, Taufschein-Christen, die sich lediglich dem Polit-Rebellen Jesus verbunden fühlen – eine katastrophale Tragödie als Trauerspiel-Travestie.

14. April 2020
In den Krisenzeiten kann es zur Katastrophe werden, positiv zu sein.

13. April 2020
Wir überleben noch. Ja, aber wie lange? Am Ende benötigen wir weder Erdbeben noch Sturmflut.

12. April 2020
Sind wir nicht alle gescheitert? Wem es einen Trost bereitet, mag ergänzen „nicht in allem“.

11. April 2020
Wer nicht verzeiht, spricht sich sein Urteil.

10. April 2020
Kritik ist möglich an dem Hauptmann, der danebenstand, als gemordet wurde und glaubte, nichts tun zu können. Aber Er sagte doch: „Dieser ist der Gerechte.“ Was ist hingegen mit denen, die Jahrzehnte später danebenstehen und den Hauptmann verdammen wollen?

9. April 2020
Jede Verdoppelung führt zum Ergebnis halb und halb.

8. April 2020
Ostwärts zu gehen – dem Morgen entgegen.

7. April 2020
Den Weg durch die Nacht werden nur die finden, die ihr eigenes Licht mitbrachten. Die geborgten Kerzen verlöschen bald.

6. April 2020
Die Arbeit liegt in der Reduktion.

5. April 2020
Verliere nicht deine Fassung, die dich in deiner Zerrissenheit hält.

4. April 2020
In der Geschichtswissenschaft ist eine strenge Trennung zwischen WISSEN (gestützt auf Archive, Ruinen usw.) und dem gesamten Rest, dem NICHT-WISSEN, grundlegend. Von letzterem bleibt ein Teil unaufklärbar, aber für einen großen Anteil lassen sich mehr oder weniger plausible Hypothesen aufstellen. Diese Aussagen über das weite Feld der inneren Antriebe, der Motive sind teils falsifizierbar, aber niemals im strengen Sinn des „Wir wissen“ verifizierbar. Wir WISSEN, daß Hitler seinen Schäferhund „Blondi“ mochte. Aber WARUM er letztlich diese Emotion entwickelte, werden wir nicht wissen, wenngleich sich darüber mehr oder weniger fundierte Vermutungen anstellen lassen. Allerdings wäre eine Geschichtswissenschaft, die sich auf das Geschichtswissen beschränken würde, arm und blutleer. Wir müssen das hinzuzufügen, was wir annehmen (zu wissen glauben). Das Glauben ist dabei nicht weniger wert als das Wissen, es ist ein ebenso unerläßlicher anderer Weg unserer Welt-Anschauung.

3. April 2020
Was wissen wir von uns? Daß wir vieles vergaßen, aber nicht alles, daß wir anders wurden, aber nicht in allem, daß unser Wissen um uns uns half und uns lähmte.

2. April 2020
Lieber ein unverdient Unbekannter als ein gut verdienender unverdient Bekannter.

1. April 2020
Das Lachen über die Regierenden ist in der Tat eine Arbeitsleistung.

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